Rakowski schließt Lenin-Werft

Die polnische Regierung will die Wiege der „Solidarnosc“ zum 1.12.88 schließen / Walesa: Persönliche Provokation Rakowskis / Belegschaft will kämpfen  ■  Von Klaus Bachmann

Berlin (taz) - Die Danziger Leninwerft, Wiege der Gewerkschaft „Solidarnosc“ und Arbeitsplatz von Lech Walesa, wird stillgelegt. Dies gab gestern das Presseamt des polnischen Premiers Mieczyslaw Rakowski bekannt. Das Werk müsse wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten im Rahmen des Regierungsprogramms zur Sanierung unrentabler Betriebe geschlossen werden, hieß es offiziell in einer Erklärung. Ein Teil des Betriebs werde einer Nachbarwerft eingegliedert. Die betroffenen Arbeitskräfte würden zum größten Teil in anderen Danziger Betrieben untergebracht. Die Liquidation soll am 1. Dezember beginnen und ein Jahr dauern.

Tatsächlich ist die Danziger Werft schon seit geraumer Zeit in wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Sie ist mit über zwei Milliarden Zloty (umgerechnet rund 800 Millionen Mark) verschuldet. Während die Produktionszahlen im vergangenen Jahrzehnt permanent zurückgingen, stiegen die Subventionen laufend an.

Die Schließung des Betriebs mit seinen 11.000 Beschäftigten war bereits während der Streikwelle im Mai angedroht worden. Kaum war allerdings der Streik beendet, erklärten sich die staatlichen Kreditgeber wieder bereit, die Werft weiterhin zu unterstützen. Der Betrieb seinerseits versuchte damals, durch eine Verringerung kurzfristiger Schulden, Entlassungen und ein leistungsbezogeneres Entlohnungssystem aus der Krise zu kommen. Der entstandene Produktionsrückstand könne bis Jahresende aufgeholt werden, hatte der Personaldirektor der Lenin-Werft damals erklärt.

In einer ersten Stellungnahme kündigte Lech Walesa gestern nachmittag an, die Arbeiterbewegung werde die Lenin-Werft verteidigen, die „für die Gewerkschaft wie für die gesamte Nation ein Symbol des Kampfes für ein neues und besseres Polen ist“. Der Liquidationsbeschluß sei eine „persönliche Provokation Rakowskis gegen Solidarnosc“. Die Gewerkschaft sei bereit, mit dem Betriebsrat Wege zu suchen, wie die Belegschaft das Werk übernehmen könne. Die Möglichkeit, Arbeitern Betriebe auf Aktienbasis zu übereignen, war auf der Augustsitzung des ZK der Polnischen Arbeiterpartei bereits angedeutet worden.

Nach Angaben aus Walesas Umgebung wird der Arbeiterführer, der seit mehreren Wochen krankgemeldet ist, am Mittwoch morgen wieder auf der Werft erscheinen. Siehe auch Seite 7 und 8

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