„Die Erklärungen waren mitterrandesques“

Nachts vor der französischen Nationalversammlung: Verteidigungsminister Chevenement unterhält sich mit taz-Korrespondent über „Hades“ und die Neutronenbombe / Monsieur le ministre schöpft ein Adjektiv / Verteidigungsminister ist ein Schatten seines Präsidenten  ■  Aus Paris Georg Blume

Es war schon am späten Mittwochabend, als mir der französische Verteidigungsminister vor dem Plenarsaal der Pariser Nationalversammlung die Hand reichte. Was blieb ihm übrig: Sonst wartete ja niemand mehr auf ihn. Dabei war Jean -Pierre Chevenement an diesem Abend ein glücklicher Mann. Das Parlament hatte mit den Stimmen von Sozialisten und Zentrumsabgeordneten seinen ersten Verteidigungshaushalt gutgeheißen. Zur späten Stunde hatten sich dann die Abgeordneten zurückgezogen, und auch die französischen Pressekollegen waren verschwunden: Schließlich werden militärische Fragen von Rang nicht im Plenum, sondern hinter verschlossenen Türen im Ausschuß diskutiert. Kurz, man erfährt im Parlament nichts, wenn man Monsieur Chevenement nicht einmal persönlich befragt.

Der aber ist an diesem Abend gut aufgelegt. Ich erinnere ihn also an den Ausspruch seines Präsidenten, der noch vor einem Jahr für große Aufregung gesorgt hatte. Mitterrand hatte am 21.Oktober 1987 in Aachen während eines Staatsbesuchs erklärt: „Wer hat entdeckt, daß die Bestimmung der französischen Waffen Deutschland sei? Es ist die Technik, die uns dies aufgezwungen hat, wird man mir antworten, aber unsere Abschreckung beruht nicht auf diesen Waffen.“ In der Bundesrepublik hatten viele diese Sätze mit großer Erleichterung aufgenommen, da sie den französischen taktischen Atomraketen Pluton und Hades galten, die aufgrund ihrer Reichweite (120 bzw. 350km) ihre Ziele bei einer Stationierung in Frankreich immer auf deutschem Boden anvisieren werden. Erstmals, so hieß es damals, habe Mitterrand deutlich zu erkennen gegeben, daß er die bundesdeutschen Sorgen über die Einsatzoptionen der französischen Atomwaffen verstanden habe. Was aber ist von diesem „Verständnis“ heute geblieben?

Monsieur Chevenement wundert sich über diese Frage. Die im Bau befindliche französische Hades-Kurzstreckenrakete, so meint er nun, sei doch „ein Gewinn für Deutschland“, sie sei „ein Beitrag zur deutschen Sicherheit“. Nicht ohne Stolz hatte Chevenement kurz zuvor dem Parlament berichtet, daß „das Hades-Programm entsprechend dem vorgesehenen Zeitplan ablaufe“ (Bereitstellung 1992). Zu den Erklärungen Mitterrands in der Bundesrepublik meint Chevenement: sie seien „mehrdimensional“. Ach so! Aber bleiben die Hades -Raketen dann doch für die BRD bestimmt? Schließlich, erklärt der französische Verteidigungsminister dem unwissenden Bundesdeutschen, sei das Ziel französischer Verteidigungspolitik, „doppeldeutig“ zu bleiben. Ich habe verstanden.

Bleibt noch die Frage zur Neutronenbombe, denn die sollte ursprünglich auf die Hades-Rakete geladen werden. Auch hatte Mitterrand unlängst (am 11.Oktober dieses Jahres in Paris) zu dieser Waffe Stellung bezogen: Diese Waffe, so sagte er, stelle ihm „viele Fragen, doch warum nicht, wenn es zu unserer Verteidigung beiträgt (...). Es hängt von meiner Entscheidung ab. Ich habe gewollt, daß wir in der Lage sind sie (die Neutronenbombe, d.Red.) zu bauen“. Wie also interpretiert der französische Verteidigungsminister diese Aussage des Staatspräsidenten? Nun entschuldigt sich Chevenement: „Der französische Verteidigungsminister ist nie mehr als der Schatten seines Präsidenten.“ Was weiß man also über die französische Neutronenbombe? Chevenement winkt ab: Die Erklärungen seines Vorgesetzten seien halt „mitterrandesques“. Vielleicht verstehen die Teilnehmer des deutsch-französischen Gipfels, der gerade begonnenen hat, was er damit meint.