„Exorzismus-Totschlag“ vor Gericht

Eine 73jährige „Teufelsaustreiberin“ muß sich in Konstanz für den Tod einer 66jährigen Frau verantworten  ■  Aus Konstanz Holger Reile

Eine 70- und eine 73jährige Frau in Singen, 20 Kilometer vom westlichen Bodenseeufer entfernt, sollen ihre 66jährige Mitbewohnerin im Verlauf einer exorzistischen Sitzung zu Tode geprügelt haben. Das Konstanzer Landgericht muß ab heute die Vorgänge in der Nacht zum 7.Februar 1988 aufklären. Für die 73jährige Magdalena Kohler ist es nicht das erste Mal, daß sie als „Teufelsaustreiberin“ in die überregionalen Schlagzeilen geraten ist. Bereits 1969 wurde sie in Zürich zu einer zehnjährigen Gefängnisstrafe verurteilt, weil sie als Angehörige einer Sekte zusammen mit dem exkommunizierten Pallotiner-Pater Josef Stocker für den Tod der damals 17jährigen Bernadette Hasler verantwortlich gemacht wurde. „In Bernadette war der Teufel“, sagte Kohler beim Züricher Prozeß vor zwanzig Jahren. Das Mädchen überstand die „Teufelsaustreibung“ nicht, an der neben Stocker und Kohler noch vier weitere Personen beteiligt waren. Eines Morgens fand man sie tot in ihrem Bett.

Kohler und Stocker standen zu jener Zeit an der Spitze einer Sekte, die sich „Internationale Familiengemeinschaft zur Förderung des Friedens“ oder auch „Heilige Familie“ nannte. Sektenmitglieder in der Schweiz und in Deutschland sicherten den Lebensunterhalt der beiden Hochstapler und religiösen Eiferer. In Singen war in den sechziger Jahren ein Erziehungsheim mit dem Namen „Arche Noah“ angesiedelt. Die Heimleitung lag in den Händen von „Mutter Kohler“ und „Vater Stocker“. Der Weltuntergang stünde vor der Tür, behauptete damals das Duo, und die „Arche Noah“ sei die einzige Rettung. Wie sich später herausstellte, wurden die von verschiedenen Jugendämtern vermittelten Kinder in der „Arche Noah“ geprügelt und schwer mißhandelt. Nach der Verurteilung von Stocker und Kohler wegen „Exorzismus -Totschlags“ an Bernadette Hasler wurde das Heim in Singen geschlossen. Nach Ablauf ihrer zehnjährigen Haftstrafe in Zürich zog Magdalena Kohler wieder nach Singen. Während ihrer Abwesenheit lebten dort ihre Schwester Hildegard Röller und Anna Wermuthäuser, ein Alt-Mitglied aus vergangenen Sektenzeiten. Frau Wermuthäuser galt schon früher als bevorzugtes Opfer von „Mutter Kohler“. In den letzten Jahren muß es immer schlimmer geworden sein. Nachts wurde die Frau bei Minustemperaturen auf den Balkon gesperrt, Nachbarn hörten Schreie oder beobachteten, wie Kohler auf Anna Wermuthäuser einprügelte. Hat man diese darauf angesprochen, soll sie gesagt haben: „Gott hat es so gewollt.“

In der Nacht vom 6. auf den 7.Februar 1988 wurde die Leiche der 66jährigen Anna Wermuthäuser abtransportiert und wenige Tage später beerdigt. Eine angeordnete Obduktion im Gerichtsmedizinischen Institut in Freiburg brachte - trotz zahlreicher Verletzungen des Opfers - die überraschende Erkenntnis, daß die Todesursache durchaus „normal“ gewesen sein könnte. Erst ein Hinweis aus der Bevölkerung ließ die Behörden hellhörig werden. Die Leiche wurde exhumiert und erneut obduziert. Kurz darauf wurden Magdalena Kohler und Hildegard Röller wegen des Verdachts der permanenten Freiheitsberaubung und gefährlichen Körperverletzung mit Todesfolge verhaftet. Angeblich soll die Verstorbene schon mehrere Tage tot in dem Haus gelegen haben.

Heute wird nun der Prozeß vor dem Konstanzer Landgericht eröffnet. Man rechnet mit einer Verhandlungsdauer von mindestens zwei Wochen. Die Mitangeklagte Hildegard Röller allerdings wird nichts mehr zur Aufklärung des Falles beitragen können - sie starb Ende August an den Folgen eines Herz-Kreislauf-Versagens.