Wolfgang Neuss: Nazis kommen vor, aber nicht bei uns?

Eine taz, die jüdisch denkt, sagt: „Achtung, wir haben in der Kulturabteilung zwei infizierte Faschistinnen – aber wir behalten sie bei uns!“  ■ Wolfgang Neuss

Wenn ich mir die taz so betrachte, dann hat sie offenbar nur zwei Probleme: die Frauen und das Judentum. Diesmal ist es unsere unbewältigte Vergangenheit, die eine Art Operetten –Unruhe in die taz bringt. Es ist natürlich keine echte Unruhe, es ist ja niemand wirklich gelangweilt von dem, was täglich in der taz steht, es ist niemand gelangweilt davon, daß die heutigen Zustände in der taz gar nicht vorkommen da geht man darüber hinweg, wie Springer oder das „Theater des Westens“ und spielt den Käfig voller Narren.

Der Fehler dabei ist, daß man Leute entläßt, die nicht die Meinung haben, die Grundkonsens ist. Links muß man in der taz nicht mehr sein, liberale Mitte reicht, aber Anti –Faschist. Wie geht man heute mit Anti-Faschismus um? Kapielski hat „gaskammervoll“ geschrieben, Droste „buchenwaldmässig“ – das sind Anzeichen einer rechtsradikalen Jugend, da muß man den Anfängen wehren. Und wie wehren wir den Anfängen? Indem wir die Leute behalten. Wollen wir sie ändern? Nein, wir wollen sie beobachten und hören und lesen und immer mehr hören, belustigt. Warum? Weil es keine Gefahr mehr ist. Wir sind nicht mehr ansteckbar, wir sind nur belustigt, wenn einer Juden haßt. Wir denken nur: Ach, der legt sich 'ne Schlinge um den Hals und hat es gar nicht nötig. Mensch, warum denkst du denn nicht weiter, warum denkst du denn nicht endlich ein bißchen jüdisch? Jüdisch denken – das ist das Problem der taz. Das beobachte ich seit Jahren, sie können es nicht, sie können nicht über ihren Schatten springen. Wie springt man über seinen Schatten als Zeitung? Indem man sagt: Achtung, wir haben in der Kulturabteilung zwei infizierte Faschistinnen – und wenn die es wirklich wären, lassen sie sich auch gerne so nennen, denk an Kühnen, der hat ein Geschäft daraus gamacht, daß er als Neo-Faschist bezeichnet wird –, aber wir behalten die Leute bei uns. Man behält die Leute bei sich, man schickt sie nicht weg, man entläßt sie nicht, weil der Konsens ist, daß man zusammenbleibt. Ich meine den Konsens im Volk, das sagt: Da sind Nazis? ... Wir bleiben zusammen. Warum? Soll'n wir sie etwa nach Frankreich, Norwegen, Dänemark schicken wir sind doch keine Idioten, wir sind doch Antifaschisten, und deshalb müssen wir mit euch zusammenbleiben. Komm mal her, du „Heil Hitler“-Sager, ich bleib mit dir zusammen! Das ist ja meine größte Gefahr, sagt der „Heil Hitler“-Sager, der ja auch noch Ideologe ist. Dabei gibt es gar keine Ideologen mehr – es gibt nur noch Versehen. Und deshalb muß unser Anti-Faschismus längst einer der Umarmung sein – so, wie es mir heute auf dieser taz-intern-Seite rüberkommt, geht es auf gar keinen Fall. Nachdem ich das gelesen habe, würde ich, wäre ich bei der taz, jeden Morgen in allen Redaktionsstuben als Faschist aufkreuzen, voller Überzeugung.

Die taz kann gar nichts dafür, die ist gar nicht zu beschimpfen, weder einzelne noch alle, weder die eine Seite noch die andere Seite. Es ist einfach so: Ihr habt die Langeweile zu breit getreten, und bevor ihr jetzt einen Mord begeht, begeht ihr Verletzungen, ihr verwundet die Leute, weil ihr sie nicht töten wollt. Der Konsens des Antifaschismus muß, ich will es jetzt mal leichtsinnig (also new age- mässig) und brutal und gemein sagen, der Konsens muß gelockert werden. Wir sind in einer Phase, in der jemand „Heil Hitler“ sagen muß, wenn er das meint – sagt er es nicht und meint es doch, kann er gehen, ansonsten muß ich ihn behalten.

Das Erschreckendste, was ich bei dieser Sache über die taz erfahren habe, ist dies: Die Zeitung entsteht dadurch, daß die gegenseitigen Interessen sich gegenseitig verhindern und so längst nicht alles in die taz kommt, was reinkommen soll; da sind Gruppen und Fraktionen, und aus diesem Verhindern und Zerren entsteht der Konsens. Das ist unglaublich – die reine Selbstverstümmelung. Daß so etwas überhaupt geht und dafür noch 'ne Mark dreißig gezahlt wird, ist ein Wunder. Denn dieser Konsens, daß man gegenseitig verhindert – die eine Redaktion hat was, da muß die andere aufpassen – das funktioniert zwar in jeder Zeitung so, aber nur ein Prozent, und ansonsten machen sich die Abteilungen gegenseitig an. Davon gibt es in der taz aber nichts, es wird da offenbar nur verhindert – ich halte es ohne weiteres aus, daß eine Interessengruppe in der taz meine Interessen verhindert, aber nur wenn ich erfahre, daß die gleiche Interessengruppe andere Sachen von mir total fördert. Aber nein, bei der taz regiert ausschließlich der Frust. Es ist kaum glaublich, wie man so eine Zeitung machen kann, sie ist ein Wunder, diese tageszeitung ausm Wedding. Und muß schleunigst geändert werden.

Um es einfach und kurz zu sagen: Ihr tazler müßt dem fröhlichen „Guten Morgen“ vertrauen. Inspiration, Temperament, Ekstase müssen nicht da sein, aber wenigstens ein „Guten Morgen, ich wünsch dir 'nen schönen Tag“ – Ja aber der hat doch „gaskammervoll“ geschrieben – Na und, „Guten Morgen“. Wer das sagt, ist doch kein Faschist. In der 'Bild'-Zeitung, in der 'BZ', überall traut man viel zu viel diesem „Guten Morgen, draußen scheint die Sonne“, in der taz traut man ihm überhaupt nicht. „Schade, daß kein November –Wetter is“ – so sehen die Redakteure aus ...

Dieser untaugliche Anti-Faschismus der taz existiert ebenso altmodisch als Anti-Kommunismus beim SFB: Fünf Minuten im Monat läßt die 'Abendschau' zwei Berliner Kabarett –Brillanten – Gruner und Neuss – mal ran, und dann schneidet sie noch zweieinhalb Minuten (und nicht irgendwelche) raus ..., aber das nur nebenbei. Eine Moral, die sich abgrenzt, Grenzen zieht, aussondert vom „Bösen“, ist unmoralisch, denn so hält sie es nicht auf. Wenn man sieht, wie die Mehrheit umgeht mit der Vergangenheit, das heißt die Vergangenheit mit ihr – da stellt man sich nicht hin und ruft „Neiiiin! Damit will ich nichts zu tun haben!“ Die Geschichte wiederholt sich – aber doch nicht jedesmal gleich, sondern transformiert. Die alten Geister kommen wieder, erscheinen so lange in der Weltgeschichte, bis sie gut sind. Dschingis Khan ist uns nach dem Original tausendmal als Wiederverkörperung angeboten worden, jedesmal wurde er benutzt, nie war er gut. Und so ist es auch mit Hitler. Der letzte, der ihn hatte, Helmut Schmidt, hat ihn wieder nicht gut gemacht: Er wollte die Amerikaner aufmöbeln, die Armee stärken ... wofür? Das alte Hitler-Lied: Gegen den Osten. Also Brahmsee Schmidtler hat auch nichts gelernt, Hitler muß noch mal kommen. Im Jahr 2050 vielleicht wird dann aus Hitler, was wir von ihm erwarten: ein Hit. Der taz als anti –faschistischem „Jugendlichen Beobachter“ bleibt nur die Politik der Umarmung. „Aber das sind doch Verrückte!“ – Und wie geht man mit Verrückten um? Eben. Guten Morgen!