Behutsame Altlasten-Entsorgung in Kiel

Nach dem Weltuntergang am 8.Mai arbeitet der Kieler Beamtenapparat „im wesentlichen störungsfrei“, sagt die neue Regierung / Aber im Kultusministerium „sitzen echte Überzeugungstäter“ / Das Umweltministerium steht im Ruf einer „Deponie für CDU-Beamte“ / „Nichts hat in Kiel so gut gearbeitet wie der Reißwolf“  ■  Von Petra Bornhöft

Seltsam. Für den 8.Mai 1988 war den Beamten in der nordelbischen Provinz der Weltuntergang prophezeit worden. Etliche konnte die alte Regierung noch gerade retten, sei es durch Beförderung, Verdienstmedaillen - der Ausstoß erhöhte sich auf acht Stück pro Tag - oder wenigstens eine Dienstreise. Dann brach das Unglück herein ins Kieler Landeshaus, die absolute Mehrheit für die Sozialdemokraten. Doch der erwartete Kampf aus den Schützengräben der Amtsstuben von etwa 24.000 CDU-DienerInnen blieb aus.

So jedenfalls sieht es Regierungssprecher Herbert Wessels: „Der Beamtenapparat arbeitet im wesentlichen störungsfrei. Die meisten verhalten sich loyal, nur einzelne haben es noch nicht geschafft, sich auf die neue Situation einzustellen.“ Daß es ihnen beamtenschnell gelingt, dafür sprechen Wahlergebnis und das anhaltende Desaster der Opposition. Bekanntlich orientieren sich Bürokraten an jeder politischen Macht. Eine neue Regierung muß nur den Eindruck von Dauerhaftigkeit vermitteln, muß in den persönlichen Beförderungsplan passen.

Das scheint in Kiel der Fall zu sein. Und die Sozialdemokraten bemühen sich eifrig, „nicht Öl ins Feuer zu kippen“. Nur hinter vorgehaltener Hand erfährt man von den „Überzeugungstätern im Kultusministerium“, der „Mülldeponie für CDU-Beamte im Umweltministerium“ oder von „Fraktionskämpfen im Finanzministerium“.

115 neue Stellen genehmigte sich die Landesregierung zur Exekution der Wende. Das ist ein Klacks, denkt man an den jahrzehntelangen Prozeß der Gleichschaltung von Verwaltung und CDU, die Stoltenberg schon 1955 gefordert hatte: nämlich eine „im Sinne der CDU bessere Personalpolitik“. In einem Geheimpapier setzte sich 1974 Barschel energisch für den Filz ein - und baute später die Staatskanzlei zur Schaltstelle der Personalpolitik aus. Soviele schwarze Parteibuchbeamte, wie in Schleswig-Holstein in Führungspositionen, glaubte Engholm vor den Wahlen, „gibt es auf der ganzen Bundesebene nicht“.

„Grauenhafte Zustände

im Kultusministerium“

Die mächtigste Stütze der CDU-Opposition ist das Kultusministerium, dem die Hamburgerin Eva Maria Rühmkorff vorsteht. Sie führte als erstes Stechuhren für den Amtsschimmel ein. Denn ab 13 Uhr, so ein Kenner, „war fast keiner der höheren Beamten, die nahezu alle Funktionsträger der CDU sind, mehr zu erreichen“. So mancher nutzte ausgiebig das gute Wetter für einen Segeltörn oder widmete sich seinen Aufgaben als CDU-Fraktionschef in einer anderen Stadt.

Für Unruhe sorgten Pläne, die Führungsstruktur des Ministeriums zu ändern, bestehende Abteilungen zusammenzufassen und eine neue Gesamtschulabteilung zu schaffen. Bestens vorab informiert, fragte der frühere Kultusminister Bendixen im Finanzausschuß nach den Plänen. Der anwesende Beamte aus dem Kultusministerium gab sich ahnungslos und wurde deshalb gebeten, den Staatssekretär zu rufen. „Zwecklos, der ist auf Dienstreise“, log der Mann frech. Sein Vorgesetzter saß freilich ahnungslos abrufbereit in der Nähe. Ergebnis: Die SPD sah sich genötigt, in Ausschuß und Parlament die Kultusministerin wegen mangelnder Auskunft zu rüffeln.

Zielstrebig lancierte die CDU über den Realschullehrerverband die Neuorganisationspläne in die Presse: die SPD wolle den alten Landesschuldirektor entmachten und die Realschulabteilung auf Kosten der neuen Gesamtschulabteilung auflösen. Das Kabinett erfuhr zum Teil aus der Presse von den Winkelzügen der höchsten Beamten, „die unsere Eva linken, wo es nur geht“, wie ein Parteifreund klagt. Die Strategie der Bürokraten ist bereits aufgegangen: Fast alles blieb, wie es seit Jahrzehnten organisiert ist. Die Ausnahme ist eine neue „Grundsatzabteilung“ unter Leitung des früheren GEW -Vorsitzenden Schleswig-Holsteins, die an den Gesamtschulplänen bosselt.

Daß auf die Ministerin und ihren kleinen Stab viel Arbeit zukam, merkte die Gruppe auch an Beschwerden von LehrerInnen. Nachdem die Landesregierung das Berufsverbot aufgehoben hatte, baten viele PädagogInnen um Einstellung in den Schuldienst. Ihre Briefe landeten auf den Schreibtischen derjenigen, die früher serienweise „Linksradikale“ von Schleswig-Holsteins Schulen ferngehalten hatten. „Und die antworteten auf das Einstellungsgesuch mit der gleichen Rotzigkeit wie zuvor“, sagt ein Insider. Jetzt bearbeitet das Büro der Ministerin diese Briefe - sofern es sie erhält.

Ungewöhnlich lang gestaltet sich in den Ministerien der Postweg. Beim Kultusministerium sind sich viele sicher, daß Briefe oder interne Papiere zwischengelagert werden in der CDU-Fraktion. Deren Chef, Heiko Hoffmann, hört selbstverständlich erst von der taz, daß „der Draht zwischen dem Ministerium und Ex-Kultusminister Bendixen immer noch besser funktioniert als die Verbindung zur jetzigen Ministerin“. Aber im Landeshaus weiß jeder, daß so gut wie keine Überlegung des Kultusministeriums der CDU-Fraktion verborgen bleibt. „Dort herrschen grauenhafte Zustände“, weiß ein Sozialdemokrat.

Leichen im

Finanzministerium

Ein Stockwerk über dem Kultusministerium sitzen die Kassenwarte der Landesregierung. Hier hat unmittelbar vor dem 8.Mai „nichts so gut gearbeitet wie der Reißwolf“, sendet der Flurfunk im benachbarten Landeshaus. Anders drückt es SPD-Fraktionschef Gert Börnsen aus: „Wo wir Akten erwartet haben, fanden sich keine“, so zum Beispiel über das Geschäft der Kieler HDW-Werft mit Südafrika. Aber das Ministerium fördert dennoch fast täglich „neue, teure Leichen zutage“, berichtet ein Politiker. Dazu gehört etwa die Entdeckung, daß der Umbau des von der alten Regierung gekauften Gutes Salzau zum Kulturzentrum nicht vier sondern 36 Millionen Mark kostet.

Verantwortlich dafür ist der geschaßte Ex-Staatssekretär Schleifer, dessen übriggebliebene Günstlinge in der Beamtenschar auf Rache sinnen. Dabei kommt der Kontrolle des Schriftverkehrs eine strategische Bedeutung zu. Auf dem Weg durch diverse Amtsstuben können Briefe schnell kopiert und an Interessenten weitergegeben werden. Deshalb trifft man oft den persönlichen Referenten der Ministerin auf dem Flur, bepackt mit Briefen, die nicht auf einen Kopierer gehören.

Diese allseits bekannte Vorsichtsmaßnahme schmälert den guten Ruf der Heide Simonis bei vielen ihrer Untergebenen nicht. „Die Frau fährt sogar beim Betriebsausflug im Bus mit“, schwärmt ein Subalterner und fügt mit leicht verklärtem Blick hinzu: „Neulich hab ich ihr eine ganz komplizierte Frage aus dem Steuerrecht erklärt.“ Frau Ministerin mögen Detailkenntnisse fehlen, von Personalführung scheint sie eine Menge zu verstehen.

Kontrolleur Heydemann

Das kann man dem parteilosen Umweltminister, Berndt Heydemann, nicht unterstellen. Zwar gilt seine Behörde unter Beobachtern als „Mülldeponie für hohe CDU-Beamte“, doch es sind weniger die politischen Differenzen, die den Apparat lähmen. Die Kompetenz des Ökologieprofessors ist unumstritten. Aber „der Mann ist nicht in der Lage, Aufgaben zu delegieren, und läßt die Leute ziemlich viel für den Papierkorb arbeiten“, sagt ein längjähriger Beobachter. Und Heydemann kontrolliert genau.

Auf seinem Schreibtisch landet angeblich von jedem Brief, den die rund 800 MitarbeiterInnen verfassen, eine Kopie. Bisher noch gar nicht gearbeitet hat die neue Abteilung „Öko -wirtschaft und Öko-Technik“. Sie besteht nämlich aus zwei Personen: einer Sekretärin und dem Leiter, der früher im Energieministerium für die Atompolitik ackerte. Ihm die Langeweile zu vertreiben, galt der Vorschlag von Kollegen, man möge dem Ministerialdirigenten doch einen Plattenspieler ins Büro stellen, damit er beim gelegentlichen Tänzchen mit der Vorzimmerdame sich fit halten könne für spätere Aufgaben.

Diese Anregung weist Heydemanns Sprecher als „reichlich böse“ zurück und behauptet, die Abteilung werde „alsbald“ zwei Referate erhalten und nehme „wichtige Aufgaben“ wahr. Überhaupt sei im Umweltministerium alles nur ein Problem des Aufbaues.

Viele Genossen setzen auf die Zeit und hoffen, daß die SPD schrittweise an die Schaltstellen der Verwaltung rückt. An Kandidaten fehlt es nicht. Schon jetzt steht das Telefon in der Parteizentrale und der Fraktion nicht still: „Genossen, ich stehe für höhere Aufgaben zur Verfügung.“