: Kohl und Thatcher im Wettlauf zu Bush
Kaum ist der neue US-Präsident gewählt, wird er von den Staatschefs aus Bonn und London besucht / Hintergrund ist der deutsch-britische Terminstreit um „Modernisierung“ der atomaren Kurzstreckenraketen / Bonner Position: Modernisierung erst nach 1991 ■ Aus Genf Andreas Zumach
Die Washingtonreisen von Bundeskanzler Kohl und der britischen Premierministerin Thatcher nächste Woche sind nicht nur eine „Freundschaftsgeste“ (Regierungssprecher Ost) an den scheidenden US-Präsidenten Reagan. Kohl und Thatcher suchen in den geplanten Gesprächen mit den führenden Vertretern der alten wie der künftigen US-Administration eine Entscheidung über den zwischen Bonn und London heftig umstrittenen Zeitpunkt für den Nato-Beschluß über die „Modernisierung“ genannte Einführung atomarer Kurzstreckenraketen, sowie der see-und luftgestützter Cruise Missiles und Abstandswaffen in Westeuropa. Dies bestätigte der bundesdeutsche Nato-Botschafter in Brüssel, Hansen. Kohl, der bereits am Wochenende zusammen mit den Ministern Scholz und Genscher nach Washington fliegt, wird den USA ein Gipfeltreffen der Nato-Regierungschefs am 4./5. oder 8./9. April 1989 in Bonn zur Feier des 40.Jahrestages der Nato -Gründung vorschlagen. Diskussionen oder gar weitere Festlegungen in der „Modernisierungs„frage sollen vermieden werden. Das Bonner Argument: Rücksicht auf den Gorbatschow -Besuch am Rhein Ende Mai. Kohl kommt mit diesem Terminvorschlag Bushs Vorstellungen entgegen, der sich schon vor seiner Wahl für ein Treffen der Nato-Regierungschefs im Frühjahr 1989 ausgesprochen hatte. Thatcher drängt darauf, die turnusmäßige Nato-Außenministertagung am 7./.8. Juni in London zu einem Gipfel der Regierungschefs zu erweitern mit einer Entscheidung über die „Modernisierung“. Sie will sich als - im Gegensatz zu Kohl- durchsetzungsstarke Führerin der westeuropäischen Nato-Partner präsentieren.Bereits in ihrem Glückwunschtelegramm an Bush betonte sie die „Sonderbeziehung“ zwischen USA und Großbritannien. Die Reagan-Administration drängt bislang auf eine „Modernisierungs„-entscheidung im nächsten Frühjahr. Bush hatte dieser Frage bereits vor seiner Wahl „höchste Priorität“ gegeben. Seine voraussichtliche Berufung des konservativen ehemaligen Vorsitzenden im Streitkräfteausschusses des US-Senat, John Tower zum Nachfolger von Verteidigungsminister Carlucci deutet auch eher auf eine harte Linie hin. Das Kalkül Bonns - und vor allem Bundesaußenminister Genschers - ist, daß nach einem Beginn der Wiener Rüstungskontrollverhandlungen Ende 1989/Anfang 1990 sowie der für Sommer 1989 erwarteten Vorlage des Nato-„Gesamtkonzepts zu Rüstung und Rüstungskontrolle“ ein Beschluß auch bei den Herbsttagungen der Allianz vermieden werden kann, und Washington und London dann, um die Wiederwahl der Regierung Kohl/Genscher nicht zu gefährden, einer Verschiebung auf Frühjahr 1991 zustimmen.
Doch bereits im Dezember könnte es zu einer Zuspitzung der Debatte kommen. Dann erhält das Bundesverteidigungsministerium die Mitteilung des Pentagon, ob eine Reichweitenverlängerung des als Nachfolge für die Lance-Raketen in der Bundesrepublik vorgesehenen Taktischen Armee-Raketen-Systems (ATACMS) auf knapp 500 Kilometer technisch möglich ist. Die USA haben bisher lediglich ein ATACM-System mit 260 Kilometer entwickelt und produziert, verglichen mit 130 Kilometer bei der jetzigen Lance-Rakete. Doch die Hardthöhe drängt auf eine Reichweite, mit der mindestens bis nach Polen geschossen werden kann. Fällt die Antwort des Pentagon negativ aus, müßte ein völlig neues System entwickelt werden- mit Kosten von mehreren hundert Millionen Dollar. Dem wird der US-Kongreß aber nur zustimmen, wenn die westeuropäischen Verbündeten diese Kosten anteilig mittragen. Ursprünglich bewilligte Ausgaben von 15 Millionen Dollar für eine erste Entwicklungsstudie hat er bereits mit einer entsprechenden Forderung auf 7,5 Millionen gekürzt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen