Richtige Frau, falscher Ort

■ Sie soll ein Energiebündel sein, eine italienische Powerfrau, die mit anrüchigen Songs das Publikum begeistert: Am Donnerstag war sie nur ein Mädchen wie du und ich

Gianna Nannini in der Stadthalle: Die richtige Frau am falschen Platz: Man merkt, sie ist in prächtigen Konzerthallen zu Hause, auf Open-Air-Festivals, mit zigtausend Fans, mit Zigarettenrauch und Bierbechern, Wunderkerzen und funkelnden Feuerzeugen, mit guter Akkustik und entrückten Giaaannaaaa-wo-bist-du-Rufen. Stattdessen: zurückhaltende Mitdreißiger mit Schnauzbart, Boss-Hemd und untergehenkelten Frauen, die so gemütlich von einem Bein aufs andere traten, als wären sie auf einem offiziellen Stehempfang und der Live-Auftritt der italienischen „Power-Frau“ nur ein weiterer Video-Clip mit schönen Männerkörpern und verwegenen Langhaar-Mannequins.

Gianna Nannini ist anderes gewöhnt. Ein Schatten der Enttäuschung huschte über ihr kleines Gesicht, als sie mit ihren italienischen Augen das kleine Häuflein Publikum sichtete: Weil der Kartenvorverkauf so schlecht anlief, wurden die Seitenflügel der Sechs-Tage-Rennen-Halle dicht gemacht: Vielleicht lag es an dieser Halle und an diesem Publi

kum, daß Nannini nichts von dem versprühte, was ihr den Namen „kleines Energiebündel“ eingetragen hat. Sie sah sehr schwach aus, fast nur ein Schatten ihrer selbst, und sie sang ganz leise wie aus dem Nichts, so daß man sie gar nicht stören wollte. Sie hüpfte auch nicht wie ein Gummiball auf und ab, wie es noch vor drei Jahren auf ihrer letzten Deutschland-Tournee gewesen sein soll: diese Frau, die „gleichzeitig zärtlich und grausam, romantisch und zynisch, niederträchtig und faszinierend sein kann“ (Bremer Blatt), war am Donnerstagabend ein kleines einsames Mädchen wie du und ich, das zwei Stunden lang singen mußte. Dabei beschränkte sie sich hauptsächlich auf Songs von ihrer neuen LP „malafemmina“, was nicht mit leichtem Mädchen zu übersetzen ist: „Hey Bionda“ (Hey Blondschopf) sang sie beinahe leidenschaftlich, ein antimilitärisches Lied, - das als Single bereits ausgekoppelt wurde - in dem sich Gianna darüber aufregt, daß sich die italienischen Frauen als Reservearmee zur Verfügung stellen sollen.

Wenn sie nicht von Krieg und Unterdrückung sang, kam sie zu ihrer eigentlichen Botschaft: Liebe und Sex. „Fare l'amore“, wo alle hübsch mitsingen konnten, „Profumo“ und nochmals „Amore“. Nur zaghaft von der Gitarre begleitet, rollte sie ihre Augen und blickte dann ganz tief ins Publikum, wie um zu prüfen, ob ihre Botschaft auch angekommen ist.

Das Stück „America“ von der LP „California“ galt für viele als Synonym für Freiheit, bis eine genaue Übersetzung Deutschland erreichte: Mit Amerika ist ihr Genital gemeint, und so ist der Song eine Hymne auf die freie Onanie, und zur Unterstreichung fuhr sich Nannini schamhaft in die Hose, umarmte und streichelte sich - das war skandalverdächtig.

Nannini sang ohne Pause, ohne Ansage, ohne überhaupt ein überflüssiges Wort zu verlieren. Wie am Schnürchen spulte sie ihre Lieder runter, huschte nur einmal an den Fans in der ersten Reihe entlang, und verschwand ebenso unscheinbar, wie sie gekommen war - im background. Bremen hat ihr sicher nicht gefallen.

Regina Keichel