Ist die Zukunft noch weiblich?

■ Frauenprojekte zwischen Utopie und Wirklichkeit / taz-Serie Teil 4 / Von Gitti Hentschel

Nach der „Utopie ohne Revolution“, dem „Frust als Chance“ und dem „Rosa Winkel“ setzen wir heute unsere Serie zum Berliner Projekt-Leben fort. Ist die Frauenbewegung passe, hat sich frau ins Nischendasein zurückgezogen? Fragen, auf die es wohl nur annäherungsweise eine Antwort gibt. Gitti Hentschel hat sich auf Spurensuche begeben.

„Wir leben in einer schweren Zeit“, seufzte eine Altfeministin, die ich auf einer Tagung traf. Dort verbreiteten vorwiegend Männer - unbehelligt von feministischen Protesten - Plattheiten und längst widerlegte Vorurteile zum Thema Sexualität und Gewalt, und das, obwohl viele engagierte Frauen unter den Zuhörerinnen saßen. Eine Situation, die vor zehn Jahren so nicht denkbar gewesen wäre.

Ist die Frauenbewegung also inzwischen wirklich passe, vielleicht sogar gescheitert, wie manch eine/r behauptet, die eine resigniert, der andere eher triumphierend? Führen die autonomen Frauenprojekte inzwischen nur noch ein „Nischendasein“, ohne politische Bedeutung und prägende Kraft? Sind die Feministinnen und ihre Projekte tatsächlich so angepaßt an gesellschaftliche Verhältnisse, ihre Inhalte vereinnahmt und integriert, daß von ihnen kaum noch Impulse zu grundlegender Veränderung zu erwarten sind?

Fragen, denen ich nachgegangen bin, unter anderem in Gesprächen mit Frauen aus sehr unterschiedlichen Frauenprojekten, wie Mitarbeiterinnen des ersten Frauenhauses, vom Frauenbuchladen „Lilith“, dem Notruf für vergewaltigte Frauen und der „Schoko“. Fragen, auf die ich umfassende Antworten aber nicht gefunden habe.

Kein Zweifel. Die Politik der Frauenbewegung, wie sie sich in den Projekten widerspiegelt, war in den siebziger Jahren und Anfang der achtziger spektakulärer, frecher, provozierender und (verbal-)radikaler als heute. Und so manch eine Feministin kriegt einen sehnsüchtig-nostalgischen Blick, wenn sie an „damals“ denkt, als „die Zukunft weiblich war oder gar nicht“ erschien und klar war, daß „Frauen gemeinsam stark“ sind. Aufbruch, Euphorie, ein Gefühl von Stärke - „Frauenpower“ - das war die Grundstimmung, die viele Frauen mitriß und mobilisierte; auf diesem Hintergrund entstanden die ersten Frauenprojekte. Sie wollten an den Grundfesten dieser patriarchalischen Gesellschaft rütteln, und zunächst sah es so aus, als gelänge das auch.

Ich erinnere mich noch an einen Bericht der „Abendschau“ im Fernsehen über eine der ersten öffentlichen Aktionen der Initiatorinnen des ersten Frauenhauses auf dem Wittenbergplatz. Da war was los auf der Straße. Die ordentlichen Bürgerinnen und Bürger zeigten sich zum Teil empört und sauer. Nicht über die Mißhandlungen der Ehemänner an ihren Frauen, die die Feministinnen anprangerten, sondern über die Feministinnen. Daß sie dieses Tabu anknackten, die vermeintlichen Intimitäten aus den ehelichen vier Wänden an die Öffentlichkeit zerrten und detailliert schilderten, welche Gewalttaten Männer an ihren Ehefrauen tagtäglich begehen. Das erschien so ungeheuerlich, war eine solche Bedrohung, daß die Leute zum Teil mit Wut und Abwehr auf die Tabubrecherinnen reagierten und die männliche Gewalt leugneten oder als Einzelfälle bagatellisierten. Entsprechend zunächst auch die Reaktionen in Institutionen, auf Ämtern und bei Politikern. Die Veröffentlichung der alltäglichen Gewalt in der Ehe und die Forderung nach Schutz(räumen) für die geschlagenen Frauen, nach autonomen Frauenhäusern, erschien als solcher Angriff auf Männer und darüber hinaus auf Ehe und Familie, daß es sie vor den „radikalen Emanzen“ zu schützen galt.

Auch wenn es nicht ausschließlich um Männergewalt und um eine zentrale gesellschaftliche Institution wie die Familie ging - die zunehmende Zahl autonomer Frauengruppen und -projekte war in der Öffentlichkeit, für Männer, zunächst aber auch für viele Frauen, grundsätzlich eine Provokation und Bedrohung. Frauenbuchläden und -kneipen, Cafes von und für Frauen, Galerien, Zeitschriften der Frauenszene, unterschiedliche Arten von Selbsthilfegruppen und Beratungsangeboten - sie alle waren, in unterschiedlichem Maße, Sinnbild einer feministischen Utopie. Dabei ging es nicht nur darum, Frauen-Frei-Räume zu schaffen, Lebensräume unabhängig von Männern zu entwickeln; sondern im gerade erwachten Selbstbewußtsein träumten viele Feministinnen auch von einem Leben ganz ohne Männer.

Rund 60 Frauenprojekte und -gruppen trugen 1978 das Frauenzentrum in der Stresemannstraße. Es war Ausgangspunkt der meisten feministischen Aktivitäten und Projekte und blieb auch für diejenigen, die von dort aus in andere Stadtteile zogen, wie zum Beispiel das FFBiZ (Frauenforschungs-, Bildungs- und Informationszentrum) das FFGZ (Feministisches Frauen-Gesundheitszentrum) Bezugs- und Orientierungspunkt, an dem gemeinsame politische Aktionen erörtert und vorbereitet wurden. Das Frauenzentrum wie die sich entwickelnden Gruppen und Projekte verkörperten Beschneidung männlicher Macht- und Einflußsphären.

So provozierend und verunsichernd die Entwicklung autonomer Frauenprojekte an sich schon für viele war, so bedrohlich erschienen dann auch teilweise die Aktions- und Äußerungsformen, die die Frauen in zunehmendem Maße entwickelten, vor allem, wenn es um das zentrale Thema „Männergewalt“ ging. Es blieb nicht mehr nur bei Demonstrationen, auf denen entsprechend der Erkenntnis, daß „jeder Mann ein (potentieller) Vergewaltiger ist“, Parolen wie „Schwanz ab“ skandiert wurden, sondern die Frauen rückten auch schon mal einem Anwalt auf die Pelle, der einen Vergewaltiger verteidigte - oder der taz in die Redaktionsräume, wenn sie sich besonders chauvinistisch und frauenfeindlich gezeigt hatte.

Angesichts der Erfahrung männlicher Übermacht und Ignoranz, der Erkenntnis, daß Männergewalt System hat und durch die Entwicklung eigener Stärken und Selbstbewußtheit war der Slogan „Feminismus ist die Theorie, Lesbianismus die Praxis“ folgerichtig und fast zwingend. Gleichzeitig stürzte sie viele Frauen in heftige Widersprüche, die (noch) Beziehungen mit Männern lebten; zwischen Lesben und Heterofrauen wurden in Frauengruppen und -projekten erbitterte Kämpfe ausgefochten, oder die Heterofrauen unterschlugen in der Frauengruppe den Freund zu Hause lieber von vorneherein. Insgesamt betrachtet sind viele Frauenprojekte gewiß nur durch die Entschiedenheit der Lesben zustandegekommen.

Inzwischen hat sich die Situation in fast jeder Hinsicht grundlegend verändert. Obwohl es inzwischen sehr viel mehr und in Struktur und Inhalten unterschiedlichere Frauenprojekte in der Stadt gibt als noch vor zehn Jahren, bedeuten sie keine Provokation und Bedrohung mehr. Zum Teil sind sie im öffentlichen Bewußtsein kaum präsent - oder werden als Dienstleistungsbetrieb oder soziale Einrichtung fast selbstverständlich in Anspruch genommen, wie zum Beispiel der Frauenbuchladen, das FFBiZ in Charlottenburg oder das Frauenhaus.

Das Frauenzentrum in der Stresemannstraße, räumlich geschrumpft und nur noch von einigen Gruppen genutzt und getragen, ist längst kein zentraler Ort der Diskussion und politischen Auseinandersetzung mehr. Überhaupt findet ein regelmäßiger Austausch unter den verschiedenen Gruppen und Projekten nicht mehr statt. Ein wesentlicher Grund dafür ist die Arbeit innerhalb der Projekte selbst, die sehr viel Zeit, Energie und Kraft schluckt, so daß für grundsätzlichere, politische Diskussionen nur noch wenig Raum bleibt.

Auf der anderen Seiten haben Frauenprojekte wie das FFBiZ oder die „Schoko“ in Kreuzberg wichtige Funktionen des Frauenzentrums als Treffpunkt und Anlaufstelle übernommen, wo neben kulturellen oder anderen Veranstaltungen auch politische Auseinandersetzungen stattfinden. Allerdings sind sie nicht mehr gemeinsamer Ort aller Frauen, wie früher das Frauenzentrum, sondern sie bieten eher Angebote an, die einfach genutzt, vielleicht auch konsumiert werden. Inzwischen gehen Frauen zum Beispiel ins FFBiZ oder in die „Schoko“, die mit Feminismus nicht unbedingt viel im Sinn haben, aber an politischen, kulturellen oder sonstwelchen Angeboten dort interessiert sind.

Das mögen Hinweise dafür sein, daß die Berührungsängste vor den „Emanzen“ nicht mehr so groß sind; daß andererseits die Frauenszene offener, und das heißt auch souveräner im Umgang mit unterschiedlichen Lebensvorstellungen und Positionen geworden ist. Eine Erfahrung, die ich selbst auch in den Gesprächen für den Artikel gemacht habe. Statt der früher oft erlebten Skepsis und Furcht von Mitarbeiterinnen aus Frauenprojekten, daß sie in der Öffentlichkeit nicht „richtig“ dargestellt werden, habe ich eine große Offenheit und Bereitschaft erlebt, sich auseinanderzusetzen, auch über interne Widersprüche und Schwierigkeiten.

Vielleicht ist eine Kehrseite dieser Entwicklung - also einerseits die Konzentration der Frauen auf ihre Projektarbeit und ein fehlender Austausch untereinander, andererseits die Verbreiterung der Frauenszene, ihre Öffnung und Ausdifferenzierung -, daß die Frauenprojekte als gemeinsame politische Kraft gegenwärtig in der Stadt nicht mehr präsent und spürbar sind.

Allerdings spielen für das scheinbare Nichtpräsentsein auch andere Momente eine Rolle. Ehemals „autonome“ Feministinnen haben sich in staatliche Institutionen oder Parteien wie die Grünen oder die AL begeben, und auch dort werden ehemals feministische Inhalte aufgegriffen und - oft verwässert weiterverfolgt. Zum Beispiel die Quotierung, vor ein paar Jahren auch von SPD-Frauen noch pikiert oder entsetzt abgelehnt, ist eine allgemein ernstgenommene politische Forderung geworden. Selbst in bezug auf die Gewalt gegen Frauen traut sie kaum noch eine/r ernsthaft, das Ausmaß männlicher Gewalttätigkeiten anzuzweifeln. Autonome Frauenhäuser werden ebenso wie „Wildwasser“, ein Selbsthilfe -Projekt für sexuell mißbrauchte Mädchen, zwar nicht ausreichend, aber doch mit öffentlichen Mitteln, finanziert.

Das alles sind Folgen und Erfolge der beharrlichen Arbeit der Frauenprojekte, der Frauenbewegung überhaupt, der Go -Ins, Sit-Ins, Demonstrationen und anderer spektakulärer Formen von Öffentlichkeits- und Aufklärungsarbeit ebenso wie von zähen Verhandlungen mit allen möglichen Ämtern und politischen Instanzen, und immer wieder: von alltäglicher, mühsamer Überzeugungs- und Kleinarbeit. Trotzdem hat sich an den Festen dieser Gesellschaft, den patriarchalischen Grundstrukturen, nichts geändert. Im Gegenteil.

Ein Prozeß von Vereinnahmung und Integration vieler Projekte hat stattgefunden, der am Beispiel der autonomen Frauenhäuser vielleicht besonders deutlich wird. Auch wenn das Problem der Gewalt in der Ehe nicht mehr geleugnet und die Frauenhäuser nicht mehr grundsätzlich um ihre Finanzierung bangen müssen - an der Gewalt an sich hat sich nichts geändert, und an den Institutionen Ehe und Familie, in der diese Gewalt produziert wird, wird erst recht nicht gerüttelt. Auch nicht mehr von den Frauenhäusern selbst. Nach wie vor sind die Bedingungen, unter denen mißhandelte Frauen in den Häusern Zuflucht finden, katastrophal.

„Der Senat hat sich unsere Idee einverleibt, und wir haben es mit uns machen lassen“, stellt Barbara Umbsen fest, eine der Initiatorinnen und langjährige Mitarbeiterin des ersten Frauenhauses. Der Prozeß der Vereinnahmung ging langsam und allmählich. Dazu gehörten die vielen und immer neuen Verhandlungen und Ängste um die Existenz des Hauses ebenso wie die ständige Überlastung der viel zu wenigen bezahlten Mitarbeiterinnen und eine zunehmende Bürokratie, die die Senatsverwaltung von ihnen immer mehr forderte. „Ich frage mich inzwischen, ob das System hat“, sagt Tina Böttcher, die seit fünf Jahren im Frauenhaus arbeitet, jetzt. „Wir werden vom Senat mit Verwaltungsarbeiten, Statistiken usw. so zugeschüttet, daß wir kaum noch über unseren Tellerrand gucken können. Und das gleiche gilt für die Frauen, die ins Haus kommen. Die werden mit Behördengängen auf Trab gehalten.“ Eine typische Erfahrung von Projekten, die „Staatsknete“ erhalten haben.

Entsprechend war auch die Frage staatlicher Finanzierung ein wichtiger Streitpunkt in vielen Frauenprojekten. Ein Dilemma: Aus der Erkenntnis, daß Frauenarbeit in dieser Gesellschaft un(ter)bezahlt wird, und mit zunehmendem (Selbst)bewußtsein über den Wert ihrer Arbeit und ihrer Qualifikation lehnten viele Frauen unbezahlte Arbeit grundsätzlich ab. Andererseits fürchteten viele um ihre Autonomie und eine Vereinnahmung insbesondere ihrer politischen Arbeit.

Keine Frage, die materielle Abhängigkeit, die Entwicklung von Bürokratie fördert die Vereinnahmung, schafft Abhängigkeiten, die es schwieriger machen, konsequent, radikal-feministisch aufzutreten. Dennoch ist es zweifelhaft, ob sich an der Finanzierung die Vereinnahmung von Projekten festmachen läßt. Ohnehin erfolgt, wenn es politisch opportun erscheint, die Vereinnahmung politischer Ideen in anderen politischen Zusammenhängen (s.o.). Andererseits wird am jetzt zehn Jahre bestehenden Notruf für vergewaltigte Frauen ein Problem deutlich, das aus fehlender Bezahlung resultiert: Die Notruf-Arbeit beschränkt sich zwangsläufig auf Öffentlichkeitsarbeit wie zum Beispiel Anzeigen in der taz, in denen Frauen an bestimmten Orten vor männlichen Übergriffen gewarnt werden. Andere wichtige Arbeit, wie die kontinuierliche Besetzung des Notruf -Telefons, ist für die Mitarbeiterinnen mangels finanzieller Unterstützung nicht zu leisten. Und politische Impulse gehen vom Notruf zur Zeit ebenso viele oder wenige aus wie von den Projekten, die die „Staatsknete“ einstecken und damit ihre Arbeit ausbauen.

Was ist nun also los mit den Frauenprojekten in der Stadt? Bei den Gesprächen mit den Frauen fand ich ein Maß an Begeisterung und überzeugendem Engagement für ihre Projektarbeit, die sich öffentlich nirgendwo sichtbar niederschlägt - außer in den Projekten selbst. Für Ursula Nienhaus zum Beispiel ist das FFBiZ „ein Stück gelebte Utopie, mit all seinen Unzulänglichkeiten, die dazugehören, wenn Utopie Wirklichkeit wird“. Dennoch hat sie, wie alle anderen Frauen den Veränderungswillen über das Projekt hinaus nicht aufgegeben. Und was Barbara Umbsen und Tina Böttcher für das Frauenhaus prognostiziert haben, kann ich mir auch für andere Frauenprojekte vorstellen: „Wir sind an einem Punkt angelangt, wo die Zugeständnisse aufhören. Es brodelt eine ganz Menge und es fängt eine neue Runde der Entwicklung an.“