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Kulisse für Adel und Halbwelt

■ Aus der Geschichte des Palasthotels „Esplanade“

„Können Sie mir helfen“, fleht der alte Mann in krakeligem Sütterlin, „ich glaube, der Mann links vorne an der Tafel Seiner Majestät des Kaisers ist mein Onkel.“ Die Uraltaufnahme zeigt SM mit seinen Militärs beim Kaffeekränzchen im damals weltberühmten Palasthotel „Esplanade“ am Potsdamer Platz.

Jetzt soll dort die „Deutsche Film- und Fernsehakademie“ entstehen: eine umstrittene Entscheidung. Unstrittig war dagegen die Rolle des 1908 eröffneten „Esplanade“. Die adeligen Schickimickis der belle epoque frönten dort dem schieren Luxus, der sie in Gestalt von 400 Betten, 180 Bädern, Rohrpost oder der ersten elektrischen Küche jener Zeit umgab. Für Kurzweil im 1.600 Quadratmeter großen Innenhofgarten sorgten diverse Tanzkapellen, und 80 Köche nebst 28 Pagen kümmerten sich um das leibliche Wohlergehen der noblen Gäste: den Petersburger Adel, wohlhabende Junker, Moneymaker aus Übersee wie Woolworth-Erbin Barbara Hutton oder großmannssüchtige Hochstapler.

Kurt Tucholsky über das Kommen und Gehen an der Reichsstraße 1 von Königsberg nach Aachen: „Der ‘österreichische Höfling war in Wirklichkeit ein Nähmaschinenhersteller aus Gleiwitz, die ‘große Hure mit dem Trauerkomplex eine gewisse Mrs. Bimstein aus Chicago und der ‘namenlose Prokurist einer großen Weinfirma der ansonsten gar nicht unbekannte Clown Grock. Und nur der Psychologe war ein Psychologe.“

Nach dem Niedergang der Monarchien in Ost und West tummelten sich bald Kriegsgewinnler, Schlotbarone von Rhein und Ruhr in den ehrfurchterheischenden Hallen der Luxusherberge. Und Hugo Stinnes, der neue Besitzer, schlürfte hier sein proletarisch gekochtes Rindfleisch mit Meerrettich... „Hier sah ich auch die ersten Berühmtheiten in ‘chicen SA-Uniformen herumstolzieren“, erinnert sich Otto Drews, der letzte Chefportier im „Esplanade“ (später, in den fünfziger Jahren, trat er seinen Dienst im neueröffneten „Kempinski“ an).

Die politischen Rahmenbedingungen haben in den Enddreißigern das Bild des Hotels als Oase der Seligen jäh zurechtgerückt. Die Wehrmacht hielt Einzug, mit ihr der Befehlston, der die letzten Gäste alter Coleur vertrieb. Im Frühjahr 1945 setzten schwere amerikanische Brand- und Sprengbomben dem Trauerspiel ein Ende.

In der ersten Nachkriegsdekade flackerte noch einmal Leben auf in den ruinierten Überbleibseln des Grundhotels. In wieder leidlich restaurierten Sälen feierten Autohändler erfolgreiche Geschäftsabschlüsse oder schwangen Filmsternchen wie Sophia Loren oder Gina Lollobrigida das Tanzbein. Apropos Film: auch in der Folgezeit - daran wird Herr Hassemer wohl mit seinem Akademieprojekt anknüpfen wollen - diente das „Esplanade“ als Kulisse. Zeitweise wurde hier Steiner II. mit Curd Jürgens und Richard Burton abgedreht, und Hotte Buchholz arbeitete sich in Cabaret ein.

Jürgen Schulz

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