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Fidele Viecher

■ Falsche Biber und waschechte Bärliner im Kreuzberger Viktoriapark

In den Kreuzberger Viktoriapark zieht es mich immer wieder, weil ich hier neben der Erholung auch die berühmte Kreuzberger Mischung finde. „Türkiyem“ tönt es vom Katzbachstadion, Jogger hecheln an mir vorbei, und Kinder lassen ihre Drachen steigen. Aber was ist das? Eine Menschentraube hat sich vor den düsteren Tierkäfigen am Nordrand des Parks gebildet. „Guck mal, die vielen Biber“, begeistert ein Alt-68er seine beiden Sprößlinge. „Ne, ne, det sind Ratten“, verbessert der Punk daneben. „Dafür sind die doch viel zu groß“, entgegnet ein Herr im Sonntagsanzug.

In der Tat messen die fidelen Nager fast einen Meter von der Nasenspitze bis zum Schwanzende. Die silbergrau schimmernden Borstenviecher wuseln ständig durcheinander oder schwimmen in ihrer Wasserjauche. „Wasserratten“, flüstert die Oma vor mir ihrer untergehakten Altersgenossin zu. Jetzt hält es mich nicht mehr! Ich greife in die Erinnerungskiste meines jahrelangen Bio-Studiums. „Das sind Bisamratten“, verkünde ich selbstsicher. Alle schauen mich erstaunt an. „Biber haben eine breite Ruderkelle“, deute ich auf die fingerdicken Rattenschwänze. Das wirkt, alle nicken zustimmend. Nur die orangeroten Nagezähne machen mich stutzig.

„Nicht streicheln“, reißt eine junge Mutter ihre Tochter vom Käfigdraht weg, „die beißen.“ Diese verdammten Hauer lassen mir keine Ruhe. Daheim schlage ich mein angestaubtes Tierlexikon auf. Alles Quatsch! Weder Biber noch Ratte noch Bisam - Nutria, lateinisch „Myocastor coypus“, lautet des Rätsels Lösung, mit dem das Gartenbauamt Kreuzberg uns allein gelassen hat. Auch Biberratte oder Sumpfbiber genannt. Die zur Familie der „Trugratten“ zählenden Nager haben sich vor allem durch ihren Pelz einen Namen gemacht. Aus Zuchtgründen gelangten die in Südamerika beheimateten Tiere nach Europa. Aus Pelztierfarmen sind dann auch einige schon mal abgehauen, haben sich aber nicht so ausbreiten können wie jene eingebürgerten kleinen Bisamratten.

Das Kreuzberger Gartenbauamt hatte sich von einem Händler auf der „Grünen Woche“ ein Männchen und zwei Weibchen eingekauft. Die auf fast 25 Tiere angewachsene Kolonie der geselligen Nager ist nun der Renner bei Jung und Alt. Da stört auch nicht der nackte „Rattenschwanz“, der, anders als bei Bisamratten, drehrund ist. Die tapsigen Vegetarier erinnern eben an großgeratene Meerschweinchen. Übrigens, so das „Urania-Tierreich“, sollen sie wohlschmeckend sein und bringen immerhin bis zu 15 Kilo auf die Waage.

Die Säuger „vertragen Temperaturen bis minus 20 Grad“, beruhigt Herr Reuter vom Gartenbauamt meine literaturgestützten Befürchtungen, den Tieren könnten Schwanz und Zehen abfrieren. Hut ab also vor den Sumpfbibern, schon deshalb, weil so manche Kopfbedeckung aus dem Filz ihrer Haare besteht.

Ein kleines Stück weiter geht es noch munterer zu. Zwei Waschbären klettern am Gitter umher. Mit ihrer schwarzen Augenbinde wirken sie wie Eierdiebe, sind jedoch vorwiegend Pflanzenfresser, nur Kartoffeln mögen sie nicht. Auch dieses Akrobatenpaar wurde eingekauft, obwohl in unseren Wäldern ihre Artgenossen umherstreunen. Seit 1934 vier der Klettermaxen am Edersee von einem Pelztierhändler ausgesetzt wurden, haben sich die Bären kontinuierlich ausgebreitet. 1978 erreichten sie auch Berlin. Die illegalen Einwanderer aus Amerika werden der Nestplünderung und anderer ökologischer Schandtaten bezichtigt. Vielleicht schiebt man dem unerwünschten Fremdling auch nur alles in die Schuhe. Forstleute jedenfalls fordern „Ami go home“.

Anders als ihre freilebenden Vettern sind die Käfigteddies am Tages sehr agil. Das macht sie zusammen mit den Sumpfbibern so beliebt. Der Bezirk weiß darum und hat versprochen, demnächst Informationstafeln aufzustellen. Beim nächsten Spaziergang sollte man sich die bärenstarke Nummer am Kreuzberg nicht entgehen lassen.

Herbert Ostwald

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