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HERZ, SCHMERZ, DIES UND DAS

■ „Verliebt, Verlobt, Verbrecherin“ im Grips-Theater

Seit einiger Zeit ist es wieder modern, Beziehungen zwischen Männern und Frauen mit einem Trauschein abzusichern. Höchste Zeit für das Theater, nicht mehr den Knatsch zwischen Männlein und Weiblein in soundso gearteten „offenen Beziehungen“ und Dreier- und Viererkonstellationen aufs Korn zu nehmen, sondern auf das alte Genre „Ehedrama“ zurückzugreifen.

Das Grips-Theater hat für „Verliebt, Verlobt, Verbrecherin“ ganz tief in die Klamottenkiste gelangt, so als ob es nie diese Massen von Büchern und Theaterstücken über „wilde Ehen“, Hausmänner, Frauen, die den Alleingang wagten, und über gänzliche Beziehungslosigkeit im Großstadtdschungel gegeben hätte. Das junge Paar (Natascha Koerte und Dieter Landuris) heiratet im Walzertakt, verspricht sich, im Guten wie im Bösen zusammenzuhalten, ehrlich zu sein und was es an derartigen Vorsätzen sonst noch gibt. Der (Bühnen-) Himmel hängt voller Geigen. Nach dem Treueschwur führt wieder der Mann, und die Frau putzt fröhlich trällernd, weil Männe es schon immer gern sauber hatte, wenn er nach Hause kam.

Neu an der Gripsschen Bearbeitung des Hausfrauendaseins ist nur die Erkenntnis, daß Männer ihr kleines Bedürfnis auch im Sitzen verrichten könnten. Männe beschmutzt nicht mehr den hellen Teppich mit seinen Schuhen, sondern Frauchen wischt begeistert seine Urinflecken von der Klobrille.

In Erwartung des dritten Kindes läuft die Frau im Morgenmantel und Plüschpantoffeln einher, die obligatorischen Gurkenscheibchen auf dem Gesicht festgeklebt. Der Verdacht, daß es noch eine andere Frau im Leben des Mannes geben könne, entsteht selbstverständlich beim Jackettausbürsten (fremdes Parfüm, blonde Haare, Tascheninhalte, was auch immer). Der angeklagte Göttergatte hat auch im November 1988 nicht viel dazu zu sagen. Neu ist allenfalls, daß er entblößten Popos auf dem Klo hockt und, offensichtlich psychosomatisch sensibilisiert, unter Verdauungsschwierigkeiten leidet.

Alt ist auch die Trauer am Grab der verstorbenen Gatten, die nach einigem Überlegen in die Einsicht umschlägt, daß die Verstorbenen doch rechte Plagegeister waren, sonst hätte man sie ja auch nicht umgebracht. Die Frage der Witwe, ob Geschlechtsteile zuerst verwesten, zeigt in der Gripsschen Variante des Themas keine neuen Einsichten auf. Zwischen diesen Szenen suchen Einsame mit dem Videoclip über eine Vermittlungsagentur den Partner fürs Leben. Da kann das Publikum hell auflachen, Gott sei Dank, so armwichtig sind sie nicht dran, die da im Duo oder im Quartett locker im Bühnenbild verteilt besammensitzen.

Aber dann treffen sich zwei im Besuchsraum eines Knasts, ein Ehepaar, „einfache“ Leute. Die Frau sitzt wegen versuchten Mordes an ihrem Mann ein. In den 25 Minuten der erlaubten Besuchszeit zeigen Verlegenheit, Haß, Reue, Reflektion, Reste von Zuneigung und bissigen Pointen des Autors die ganze Tragödie eines Paares, das sich einmal sehr lieb hatte, sich dann aber zwischen Kindern, Arbeit, Hausarbeit und Schulden verloren hat. Endlich können Koerte und Landuris zeigen, wozu sie fähig sind. Ihre Stimmen werden fester, und jede Bewegung hat ihre Bedeutung. Das süße Podest im Ikea-Styling, auf dem die beiden sitzen, ist vergessen.

Felix Mitterers Einakter „Die Verbrecherin“ ist nur ein Stück im Stück. Die Anspannung, die es hervorruft, verpufft sofort, wenn Koerte und Landuris in ihre senkrecht an die Wand gehefteten Betten klettern, um zwei sprachlose Alte zu mimen, die sich ihren Zipperlein hingeben und einander grollen. Nach einem kurzen Disput der Schauspieler in ihrer Eigenschaft als Schauspieler darüber, daß - wer hätte das gedacht! - ja alles nicht so einfach ist, beschließen die beiden Alten, wieder nett zueinander zu sein. Dann klatscht der Greis der Greisin auf den Po, und kichernd verschwinden die beiden gemeinsam im Bett. Wenn wir also heiraten und uns ein bißchen Mühe geben, kriegen wir im letzten Moment noch die Kurve und sterben wenigstens glücklich, wenn schon die gemeinsamen Jahre die Hölle sind!

Claudia Wahjudi

„Verliebt, Verlobt, Verbrecherin“ im Grips-Theater bis 19.November, jeweils um 20 Uhr.

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