: Arbeiter und Ökofritzen - ein Kampf?
■ Zwar schließen sich die Arbeiter aus dem gesellschaftlichen ökologischen Lernprozeß nicht aus, aber es fehlen ihnen gewerkschaftliche Orientierungspunkte / Steinkühlers „außerparlamentarische Allianz für Arbeit und Umwelt“ noch nicht in Sicht
Täglich neue Katastrophenmel dungen über schleichende Gesundheitsgefahren, anhaltende Naturzerstörungen, sowie größere und kleinere „Unfall„ -Ereignisse haben in der BRD eine beachtliche und verbreitete Sensibilisierung für ökologische Themen bewirkt. Auf welche Weise und mit welchen Folgen dieser gesellschaftliche „Lernprozeß“ von Industriearbeitern erlebt wird, war Gegenstand gerade abgeschlossener Forschungsarbeiten, die von einem Team der Zentralen Wissenschaftlichen Einheit (ZWE) „Arbeit und Betrieb“ an der Universität Bremen durchgeführt wurden.
Arbeiter als Täter mitangeklagt
Mit dem zunehmenden Umweltbewußtsein hat sich in weiten Teilen die - fraglos realistische - Überzeugung durchgesetzt, „die Industrie“ bzw. „die industrielle Produktion“ gehöre zu den Haupterzeugern der ökologi
schen Probleme. Nicht nur die Unternehmer geraten damit aber ins Zwielicht, sondern auch diejenigen Arbeitnehmer sehen sich einem Rechtfertigungszwang ausgesetzt, die in ihrer Rolle als Produzenten bzw. Mitproduzenten an der Verursachung derartiger Probleme unmittelbar beteiligt sind. In die Hände zu spucken und als Arbeiter das Bruttosozialprodukt zu steigern, bedeutet heute, daß man leicht in eine unangenehme „Täter„-Rolle geraten kann und sich unversehens zumindest als „Mitangeklagter“ fühlen muß. Häufig genug wird man als Industriearbeiter in der Familie, im Bekanntenkreis, in der Gesellschaft mit ökologisch begründeter Kritik am eigenen Tun konfrontiert - und oft genug erscheinen Zweifel am Nutzen ganzer Produktionsgruppen und Forderungen nach der Stillegung ganzer Produktionszweige als existenzielle Bedrohung.
Leugnen des Problems
gilt nicht
Angesichts dieses Dilemmas erschiene es gar nicht verwunderlich, wenn Industriearbeiter wie auch ihre Gewerkschaften Selbstachtung durch das Leugnen und Verdrängen der Probleme aufrecht erhielten, Verantwortung an andere - die Konkurrenz, die Unternehmer, den Staat, die Umweltschützer - delegierten und die Sicherheit ihrer Arbeitsplätze dadurch zu gewährleisten suchten, daß sie sich zusammen mit ihren Arbeitgebern auf der gleichen Seite gegenüber einer von außen aufgezwungenen Kritik verschanzten. In der Mehrzahl ist aber die allgemeine Sensibilisierung für ökologische Probleme an den Industrie -Arbeitern nicht vorübergegangen. Der gesellschaftliche Lernprozeß wird von den Arbeitern mehrheitlich mitvollzogen
-allerdings nur solange, wie nicht der Eindruck entsteht, der „kleine Mann“ habe letzten Endes die Zeche zu zah
len. Man möchte schon gewährleistet sehen, daß „die Großen“, „die Industrie“ oder „die Unternehmer“, die sowieso einen viel größeren Anteil an der Entstehung von Umweltproblemen haben, und die auch wesentlich effektivere Beiträge zur Lösung dieser Probleme leisten könnten als der einzelne Arbeiter und Bürger, - ihren daraus resultierenden Verpflichtungen ebenfalls nachkommen, auch wenn es über die
-relativ unverbindliche - Befürwortung politischer Maßnahmen zum Umweltschutz hinaus persönliche Bereitschaft zum Umweltschutz - etwa beim getrennten Abfallsammeln oder beim Tanken bleifreien Benzins - geht.
Gewerkschaftliche
Orientierungen fehlen
Es ist aber festzustellen, daß der vom IG-Metall -Vorsitzenden Steinkühler inzwischen auch geforderte „Schritt von der Thematisierung zur Politisierung von
betrieblichen Umweltkonflikten“ noch aussteht. Zu unklar sind für die meisten die gewerkschaftlichen Positionen zur Ökologiefrage, als daß sie sich bereits darauf verlassen wollten. Es werden inhaltliche Konzepte, Strategien und Perspektiven vermißt, die den Gewerkschaften ein eigenständiges Profil in den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen über Wachstums- und Umweltprobleme und den Arbeitern verläßliche Orientierungen und Optionen geben könnten.
Es zeigt sich, daß die Organisations- und Aktionsformen, die von der Arbeiterbewegung anhand der „alten“ sozialen Frage im Kampf um die Verteilung von Reichtum und sozialer Gleichheit entwickelt wurden, unter Umständen nicht so gut geeignet sind, sich der „neuen“ ökologischen Frage wirksamer als bisher zu nähern. Auch wenn neue Formen - etwa ein persönliches Engagement in einer Bürgerinitiative
-der Mehrheit als abwegig erscheint, so haben doch viele der Arbeiter eine Menge Vorbehalte gegenüber neuen sozialen Bewegungen und insbesonderer gegenüber der Umweltbewegung abgebaut. Zwar wird nicht verkannt, daß deren Wachstums- und Industriekritik nach wie vor einen Abbau von Produktionen und Arbeitsplätzen bedeuten könnte, doch hat diese Vorstellung an Dramatik verloren.
Bei allen unverkennbaren Schwierigkeiten, die das mit sich brächte, schiene jedenfalls das „gemeinsame Engagement von Gewerkschaftsbewegung und Ökologiebewegung“ (Steinkühler 1988) chancenreicher als „die klare Abgrenzung der Gewerkschaften von den Grünen“ (Rappe 1985). Zunächst ist jedoch die von Steinkühler angestrebte „außerparlamentarische Allianz für Arbeit und Umwelt“ nicht in Sicht, und auch daher laufen durchaus vorhandene Interessen ins Leere. Günter Warsew
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