„Mein Mann starb zehn Jahre lang“

Britische und dänische Atomopfer berichten über die Folgen von radioaktiver Verseuchung in Sellafield, in Grönland und im Pazifik „Wir waren Versuchskaninchen bei den Atombombentests“ / Medizinische Untersuchungen und Entschädigungen abgelehnt  ■  Aus Duisburg Petra Bornhöft

Während Joan King vor 200 ZuhörerInnen von ihrem Mann erzählt, zerknüllt sie unter dem Tisch ein Taschentuch. Mit stockender Stimme sagt die Witwe des 1973 gestorbenen Windscale-Arbeiters: „Er starb zehn Jahre lang, während er in der Wiederaufarbeitungsanlage mit Plutonium kontaminiert wurde.“ Auf zwei Krücken gestützt und von seiner Frau Sally begleitet, berichtet der Däne Ole Markussen von den Bergungsarbeiten nach dem Absturz eines B52-Bombers nahe der US-Basis Thule in Nordgrönland vor fast 21 Jahren: „Ein amerikanischer Arzt fand Plutonium 239 in meinem Körper.“ Ken McGinleys Gesundheit ist ruiniert, seit der frühere britische Soldat 1958 am Strand der Weihnachtsinseln im Pazifik „aus nächster Nähe“ zum Augenzeugen der Zündung von drei Wasserstoff- und zwei Atombomben gemacht wurde. Sie alle kämpfen seit Jahren vergeblich gegen die Folgen der Niedrigstrahlung. Tausenden von Atomarbeitern und Strahlenopfern verweigern die Regierungen angemessene wissenschaftliche Untersuchungen und finanzielle „Entschädigung“. Unterstützt von kirchlichen, gewerkschaftlichen und politischen Gruppen finden diese Woche zahlreiche Veranstaltungen in der BRD statt.

Henry King hatte in der WAA Windscale (heute Sellafield) zehn Jahre Plutoniumstaub eingeatmet, bis er versetzt wurde. Zu spät. Er verlor Haare, Zähne und nach fünf Operationen das Augenlicht. Im Mai 1973 untersuchten Spezialisten den Arbeiter in einer Klinik. Zwölf Tage später war er tot: Gehirntumor. Die Autopsie ergab: Das Plutonium im Körper lag unter dem Grenzwert der internationalen Strahlenschutzkommission. So hieß es: „It was not enough to kill him“, und die Familie wurde abgefunden mit einer „Spende“ von rund 20.000 Mark für die Behandlungskosten.

Als die Truppe von Ken McGinley, der damals 19 Jahre alt war, 1958 den Befehl erhielt, sich in Shorts und Oberhemd an den Strand der Weihnachtsinseln zu setzen und die Hände vor die Augen zu halten, „hatten wir keine Ahnung, daß wir die Kulisse und Versuchskaninchen für Atombombentests bilden sollten“. Elf Meilen entfernt zündeten die Bomben. „Es war so hell, daß wir die Knochen in der Hand sehen konnten. Wie ein Schweißbrenner auf der Haut wirkte die Hitze.“ McGinley reagierte mit Hautausschlag, Halsentzündungen, Blutungen, Lähmungserscheinungen, Schwindelgefühlen. Drei Jahre danach wurden ihm zwei Drittel des Magens entfernt. 1982 stellten die Ärzte eine erneute Magenwucherung fest. Von den 1.500 ehemaligen Soldaten, die der Verein britischer Atomversuchsveteranen - McGinley ist heute ihr Vorsitzender

-seit 1983 aufspüren konnte, haben viele seltene Krebskrankheiten oder sind daran gestorben. Zwei Drittel der Männer blieben unfruchtbar. Mittlerweile gibt die britische Regierung offen zu, daß sie die Soldaten damals nicht aufgeklärt hat, weil es sonst schwierig gewesen wäre, die Wirkung von Explosionen „auf Material und Menschen zu erforschen“. Dennoch weigert sie sich ebenso wie die Atomindustrie, den überlebenden Opfern Renten zu zahlen. Nur in drei Fällen gewährten die Gerichte Renten in Höhe von monatlich 600 Mark.

In Dänemark weitet sich die offizielle Nicht-Behandlung der 1.000 Thule-Arbeiter zu einem Skandal aus. Wie berichtet, hatte Sally Markussen in den vergangenen Jahren 600 Kollegen ihres Mannes kontaktiert. Typische Symptome: Leberschäden, nicht heilende Wunden, extreme Gewichtsverluste und Müdigkeit, Erstickungsanfälle, Schleim in der Lunge, Konzentrationsstörungen, eingeschränkte Fruchtbarkeit bis zur Sterilität, starke Anfälligkeit für Infektionen. Sally erfuhr von 98 Krebserkrankungen und 22 Todesfällen. Zunächst gab sich die dänische Regierung kooperationsbereit, versprach wissenschaftliche Untersuchungen. Doch die USA hielten alle Unterlagen unter Verschluß - der genaue Inhalt der vier zerborstenen Bomben blieb geheim, nur vier Kilo Plutonium sammelten Ole Markussen und seine Kollegen ein. Im Sommer dieses Jahres reisten Dänen nach Amerika, und erhielten dort offenbar Instruktionen, die „Thule-Affäre“ endgültig zu begraben. Vor zwei Wochen erklärte Ministerpräsident Schlüter, die geplante wissenschaftlich -statistische Untersuchung werde nicht stattfinden, die Arbeiter könnten sich individuell in arbeitsmedizinischen Kliniken krankschreiben lassen. „Wir vermuten“, so Sally Markussen, „daß hier auf Druck der USA verhindert werden soll, den Zusammenhang zwischen Niedrigstrahlung und Erkrankung der Thule-Arbeiter offiziell zu beweisen“.

An diesen Zusammenhang scheint auch der BUND nicht zu glauben. „Die BUND-Strahlenschutzkommission äußerte Bedenken“, so empörte sich Lilo Wollny, MdB der Grünen, am Dienstag in Bonn, „Personen zu präsentieren, die angeblich nicht nachweisen können, daß sie kontaminiert sind. Deshalb boten sie Ole Markussen eine medizinische Untersuchung an.“ Vermutlich aus diesen Gründen blieb der BUND der Pressekonferenz mit den Strahlenopfern fern und überließ die Organisation der Reise seinen Ortsgruppen. In Duisburg beteiligten sich am Dienstag abend 13 Gruppen und 200 Menschen. „Beeindruckt und tief betroffen“ hörten sie die kurzen Berichte, ohne sich lange bei Nachfragen aufzuhalten.

Veranstaltungsbeginn jeweils 20 Uhr; Donnerstag: Kiel, Hörsaal des pharmakolog. Instituts, Uni, Fleckenstraße; Freitag: Hamburg, Shalom-Kirchengemeinde, Lütchenmoor 13; Samstag: Berlin 41, Patmos-Gemeinde, Gritznerstr.18-20