Mit Sauerkraut gegen Skorbut

■ Wind und Sterne, Vierteiliger Fernsehfilm der ARD (20./23./25./26.11.)

Fand das Sauerkraut in englischsprachigen Landen höchstens als Mittel zum Amüsement über ein bestimmtes mitteleuropäisches Volk Verwendung, so hat erst Robert Hughes in seiner Geschichte Australiens „Die tödliche Küste“ die welthistorische Bedeutung des „Zaubermittels“ gewürdigt. „Was für die Amerikaner die Mikrochips bei der Eroberung des Mondes sind, war für die Europäer das Sauerkraut auf dem Weg nach Australien“. Keine Frage, der Vitaminspender war endlich ein wirksames Mittel gegen den Skorbut, der - bis Cook als erster in großem Maßstab Kraut einsetzte - auf längeren Seereisen in fataler Weise hingenommen werden mußte. Bei Erdumsegelungen war zuvor von vornherein eine Ausfallrate von rund der Hälfte eingeplant. Auch bei vielleicht etwas heiklen Punkten zeichnete sich die vierteilige Fernsehserie Wind und Sterne, durch einen beachtlichen Realismus aus. Daß etwa die Bewohner Tahitis und Hawaiis die Expeditionsteilnehmer wie die Raben beklauten, ist Geschichte. Nur Ignoranten könnten dies als Vorurteil abtun. Sinnvoller wäre da schon die Frage, wie jene Diebereien zu bewerten sind. Wer etwa heute sieht, was die Weißen aus Hawaii gemacht haben, würde im Nachhinein gerne noch nach Kräften mitstehlen. Kurzerhand alles mit einem damals dort geltenden anderen Eigentumsbegriff zu erklären, wäre indes völlig falsch. In dieser Weltenregion war mehr als anderswo der gerechte Tausch von Eigentum angesagt nach der Devise: „Gibst du mir Deinen Fisch, geb ich Dir meinen Fisch“. Es gibt wohl auch kaum eine Gegend, in der es traditionell ein vielfältigeres Geldwesen gab. Die Bewohner selbst bekannten sich jedenfalls bisweilen auch zu diesen Stibitzereien: Nachdem die Kanuten des hawaiischen Häuptlings von Cooks Schiff zurückgekehrt waren, und soviel von dem in der Südsee so begehrten Eisen entdeckt hatten, kündigte einer der Krieger an: „Ich werde diesen Reichtum plündern, denn das Plündern ist mir angeboren“ - so sagt es die hawaiianische Überliefering

Umstrittener ist da schon die Darstellung der Sexualität in der Südsee. Ein Wissenschaftsfight ist hierüber entbrannt mit den Hauptexponenten Margaret Mead, die in der ersten Hälfte des Jahrhunderts auf den Inseln eine unverkrampfte und ungebundene Sexualität festgestellt haben will, während ihr Hauptgegner Freeman all dies abstritt. Insbesondere die Frage, wie offenherzig die Insulanerinnen auf die Schiffsmannschaften zugingen, erhitzt seit jeher den Konsumenten von Südseeliteratur und männlichen fernwehleidenden. Liest man die Tagebücher der Weltreisen des 18. Jahrhunderts - nicht zuletzt diejenige des eher zurückhaltenden Cook - so spricht jedenfalls vieles für die Darstellung in „Wind und Sterne“, daß viele Tahitianerinnen für das kostbare Eisen eines Schiffsnagels zum Geschlechterverkehr bereit waren. Lobenswert ist es, daß Peter Yeldham und John Hooker es diesbezüglich geschafft haben, keinen unnötigen Kitsch auf den Bildschirm zu produzieren.

Das Dilemma eines solchen Films ist, die Unzahl an Information die drei Weltreisen in sechs Stunden zu pressen. So etwas kann eben nur eine Aneinanderreihung von - wenn auch hier plastisch und spannend dargestellten - Fakten sein, quasi Geschichte für den Feierabend.

Und dann gibt-s da noch das „Buch zum Film“: „Wind und Sterne“ vom Stuttgarter Thienemanns-Verlag. Es handelt sich dabei allerdings nur um den Roman des Drehbuchautors. Wer den Film gesehen hat, kann ihn sich sparen. Mir wäre ein regelrechtes Begleitbuch lieber, das mehr über die Zeit und seine Seefahrten bringt oder meinetwegen auch den Fragen nachgeht, was für Lackaffen in der Londoner geografischen Gesellschaft saßen und was die Familie des verrückten Seefahrers während seiner permanenten Abwesenheit alles anstellte. ul