Verfassungsschutz auf Pressejagd

■ Berliner Verfassungsschutz durchforstete die kritische Journalistenschaft / Auch SFB-Journalisten betroffen / Kewenig schweigt im Innenausschuß / AL und SPD ziehen unter Protest aus / tazlerInnen belagern „Wanzen-Wilhelm“ / Diepgen schlägt Vermittler vor

Berlin (taz) - Das Interesse der Spitzel vom Berliner Verfassungsschutz an der Presse beschränkt sich offenbar nicht auf die taz. Auch MitarbeiterInnen des SFB und selbst des altehrwürdigen liberal-konservativen 'Tagesspiegels‘ wurden vom Verfassungsschutz überwacht. über ihre Person und ihre Arbeit existieren namentliche Dossiers in den Regalen des Verfassungsschutzes, so Informationen der 'Frankfurter Rundschau‘, die sich dabei auf SPD-Kreise beruft.

Die Journalistenvereinigungen DJV und DJU forderten Berlins Bürgermeister Diepgen gestern zur Aufklärung des Skandals auf. taz-Mitarbeiter belagerten das Berliner Abgeordnetenhaus und forderten Innensenator Kewenig auf, seine Wanzen aus der taz abzuziehen.

Aus einem am Wochenende bekanntgewordenen, aber immer noch vertraulichen 14seitigen Brief des SPD-Fraktionsvorsitzenden Momper geht hervor, daß die Ausspähung und Bespitzelung der taz „als solcher“ inzwischen von Verfassungsschutz zwar eingestellt worden sei. Beobachtungen über einzelne taz -JournalistInnen wurden jedoch „neu aufgenommen“. Als Anlässe für die Bespitzelungen seien vermeintliche Ordnungswidrigkeiten herangezogen worden.

Die jetzt bekanntgewordene Skandalchronik um den Berliner Verfassungsschutz weist nicht nur eine umfangreiche Bespitzelung der Berliner Journalistenschaft aus, sondern auch eine Observation der Parteien. Außer der AL wurde unter anderem ein gesamter ehemaliger SPD-Landesvorstand überwacht. Sechs bis sieben Sonderberichte über die Berliner SPD und zahlreiche Dossiers über einzelne Abgeordnete sollen in den Regalen des Verfassungsschutzes schmoren. In der gestern mit Spannung erwarteten Sitzung des Innenausschusses des Berliner Abgeordnetenhauses schwiegen sich die verantwortlichen Politiker zu dem Verfassungsschutzskandal aus. Innensenator Kewenig hatte gleich zu Sitzungsbeginn erklärt, er werde sich in öffentlicher Sitzung zu den „diffizilen“ Vorgängen ohnehin nicht äußern, und forderte statt dessen, „gemeinsam für einen demokratisch kontrollierten Verfassungsschutz zu arbeiten“. Als die SPD einen Antrag auf geheime Sitzung stellte, um den Senator doch noch zum Reden zu bringen, ersparten ihm CDU und FDP die Pein: Sie lehnten die geheime Sitzung ab und gaben ihrem Innensenator damit die Möglichkeit, sich weiter in Schweigen zu hüllen. AL und SPD zogen daraufhin unter Protest aus dem Innenausschuß aus. Die Sitzung wurde kurze Zeit später abgebrochen und auf nächste Woche vertagt. In den späten Nachmittagsstunden mühte sich Berlins Regierender Bürgermeister Diepgen um eine Vermittlung. Diepgen schlug vor, eine „sachverständige, unabhängige Persönlichkeit zu beauftragten, die Arbeit des Berliner Verfassungsschutzes zu überprüfen“.

Nach der taz will nun auch der ehemalige taz-Journalist und jetzige 'Zeit'-Mitarbeiter Michael Sontheimer rechtliche Schritte einleiten und ein Auskunftsersuchen beim Innensenator stellen. Beim SFB prüfen die Juristen, mit welchen Mitteln Auskunft vom Verfassungsschutz über die Bespitzelung einzelner SFB-Mitarbeiter erlangt werden kann.

Ve.