Weltliches Gericht hilflos vor Exorzistin

Unrechtsbewußtsein einer mutmaßlichen Totschlägerin, die sich auf den lieben Gott beruft, überfordert Konstanzer Schwurgericht / Angeklagte: „Anna hat dem Teufel gedient“ / Kirche hält sich bedeckt / Urteilsverkündung am Donnerstag  ■  Aus Konstanz Holger Reile

„Ich habe nicht die Anna geschlagen, sondern den Teufel.“ Strafrechtlich gesehen hat die 74jährige Magdalena Kohler am fünften Verhandlungstag ein Geständnis abgelegt. Zum ersten Mal hat sie zugegeben, daß sie ihre ehemalige Mitbewohnerin Anna Wermuthäuser geschlagen hat. „Die Anna war faul und frech, in ihr war das Böse.“ Magdalena Kohlers Stimme klingt fest, sie glaubt an das, was sie da sagt. Auch die erdrückende Beweislast ficht sie nicht an, ist sie doch überzeugt, einen göttlichen Auftrag ausgeführt zu haben. Unrechtsbewußtsein ist der kleinen, gebrechlich wirkenden Frau hier gänzlich fremd.

Am 7.Februar wurde die Leiche der 66jährigen Anna Wermuthäuser aus dem Singener Wohnhaus gebracht und nach Freiburg überführt. Nach der Obduktion wurden die sterblichen Überreste zur Beerdigung freigegeben. Erst nach einem Hinweis aus der Bevölkerung wurde die Leiche exhumiert und in Tübingen nochmals obduziert. Das Ergebnis hier: „Anna Wertmuthäuser ist an den Folgen massiver Schläge gestorben.“ Beim Prozeß versucht sich die Freiburger Gerichtsmedizinerin Faller für ihr skandalöses Obduktionsergebnis zu rechtfertigen: „Die Leiche war zwar mit Hämatomen übersät, aber wir dachten, die alte Frau hat alleine gelebt und war etwas verwirrt.“

Nach dem Tübinger Obduktionsergebnis wurden Magdalena Kohler und ihre Schwester Hildegard Röller verhaftet. Mittlerweile hatte man sich daran erinnert, daß Frau Kohler schon vor 20 Jahren in Zürich wegen „Exorzismus-Totschlag“ an einer 17jährigen Schülerin zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt worden war. „Mutter Kohler“, wie man sie zu jener Zeit nannte, hatte das Sagen in einer Sekte mit der Bezeichnung „Heiliges Werk“. Nach Verbüßung ihrer Haftstrafe zog Magdalena Kohler wieder nach Singen. Während ihrer Abwesenheit hatten dort ihre Schwester Hildegard Röller und Frau Wermuthäuser gelebt. Zeugen aus der Nachbarschaft berichteten übereinstimmend, daß vor allem in den letzten Jahren Frau Wermuthäuser immer wieder brutal verprügelt worden sei. Eine Haushaltshilfe hat einmal gesehen, wie so eine Züchtigung vor sich ging: „Die Frau lag nackt in ihrem Bett, und die beiden Schwestern haben mit Teppichklopfern und Staubsaugerkabeln auf sie eingeschlagen.“ Frau Kohler soll dabei geschrieen haben: „Ich schlag dich tot, du Satan!“ Andere berichteten, daß ein Zimmer als „Kapelle“ eingerichtet war, Sektenmitglieder aus der Schweiz und aus Deutschland haben sich dort regelmäßig zum Gebet getroffen. Das ganze Haus war vollgestopft mit Lebensmitteln, teilweise aus dem Jahre 1958. Kohler dazu: „Wenn die Welt untergegangen wäre, hätten wir die Überlebenden gespeist.“ Der Vorsitzende Richter Eckert sorgt sich da um das Verfallsdatum.

Das Konstanzer Schwurgericht ist der Thematik offensichtlich nicht gewachsen. Alte Sektenmitglieder, die zum Teil ein- und ausgingen in dem Singener Haus und als Zeugen geladen waren, wurden unverständlicherweise mit Samthandschuhen angefaßt. Albert S., ein Zahnarzt aus dem Saarland und seit Jahren Präsident der Sekte, will nicht gewußt haben, was in dem Haus vor sich ging. Er war aber am Todestag von Frau Wertmuthäuser im Haus und hat am nächsten Tag den Hausarzt von Magdalena Köhler und Hildegard Röller gebeten, für die beiden alten Frauen eine „Gebrechlichkeitsbescheinigung“ auszustellen. Auch eine Singener Krankenschwester, Vorstandsmitglied der Sekte und bei Kohler und Röller aufgewachsen, wußte von nichts. Beide sind sichtlich erleichtert, daß man sie nicht in die Mangel genommen hat.

Bei einer Hausdurchsuchung wurden rund 80.000 Mark Bargeld gefunden, dazu Goldbarren, wertvoller Schmuck und Goldmünzen. Literatur zum Thema in der Hausbibliothek: Dämonische Besessenheit von Adolf Rodewyk, daneben eine Vielzahl von Beschwörungsgebeten gegen den Satan. Das Gericht weiß damit nichts anzufangen. Richter Eckert schiebt die Bücher nach Verlesung der Titel weit von sich weg.

Es rächt sich bei diesem Prozeß, daß kein Theologe oder Religionswissenschaftler hinzugezogen wurde. Wenn die Angeklagte Kohler ab und zu sagt: „Ich habe immer im Rahmen der katholischen Kirche gehandelt“, hat sie ja nicht ganz unrecht. Der Exorzismus ist innerhalb der katholischen Kirche schließlich nicht verboten, und der Teufelsglaube erfährt unter dem amtierenden Papst gegenwärtig eine Renaissance. Auch das psychologische und das psychiatrische Gutachten streifen die Problematik nur am Rande. Magdalena Kohler wird eine „verminderte Steuerungsfähigkeit“ attestiert, der religiöse Background bleibt weitgehend ausgeblendet.

Die Kirche hat sich bislang nicht geäußert, sie hält still und wartet, bis der Spuk vorbei ist. „Schwester Stella“, die jahrelang sogenannte „Heilsbotschaften“ an das „Heilige Werk“ lieferte, lebt abgeschottet in einem Kloster in Augsburg. Der 94jährige Adolf Rodewyk, Verfasser des oben genannten Exorzismus-Standardwerks Dämonische Besessenheit, verbringt seinen Lebensabend in einem kirchlichen Altersheim bei Münster. Beide hätten sicherlich dazu beitragen können, den ideologischen Hintergrund der Geschehnisse aufzuhellen. Denn gerade Rodewyks Buch entwickelt sich zum Renner, der Pattloch-Verlag brachte in diesem Jahr die vierte Auflage auf den Markt. Vor kurzem wurde der Pattloch-Verlag in den Augsburger Weltbild-Verlag eingegliedert, und unter den Gesellschaftern dieses Verlags befinden sich auch zwölf katholische Diözesen. Die katholische Kirche ist also Mitherausgeberin eines der bekanntesten Werke der Neuzeit zum Thema Teufelsaustreibung.

Die Urteilsverkündung ist auf Donnerstag angesetzt.