Mischung aus Liberalität und Kleingeist

■ Heiner Hellmann (Modernes) und Thomas Frey (Schlachthof), Repräsentanten einer „alternativen“ Hansestadt-Kultur, sprachen mit der taz zum Mandarinenessen über Kultur, Geld, Stadt-Image, Sponsoring, ABM, Senat und Bremen

Es gibt Menschen, die verbreiten mit Keksdosen, Butterkuchen oder Marzipanherzen eine heimelige Atmosphäre. Thomas Frey hat Mandarinen im Netz. Man kann die kleinen orangefarbenen Dinger beim Reden aus der Pelle pulen. Mandarinenessen verbindet.

Thomas Frey war Dramaturg. Heute ist er ein „Fossi“, ein Fossil der Bewegung also, die '79/'80 zum Wohle der Allgemeinheit in den Bremer Schlachthof e.V. schwappte und der ordentlich aufgeräumten Hansestadt ein überregional bekanntes Irgendwie-dagegen-Kulturzentrum ins schmuckliche Stadtbild setzte: die lokale Kuscheldecke für die Schmuddelkinder der APO- und Postpunk-Subkultur, der Ort für viel Theater, künstlerische Gestaltung, kulturpädagogische Arbeit und das gute Punk-, Metal-, Mainstream- Rock-Konzert.

Heute hat der Schlachthof-Verein 40 z.T. Kulturgruppen-Mitglieder (ein Teil der Gründungs -Initiativen ist allerdings nach dem senatsbeschlossenen Abriß der Fleischmarkthalle abgesprungen), über 20 ABM -Plätze und gut 15 restlos idealistische, also ehrenamtliche Mitglieder. „Das sind eben Leute, die bereit sind, Kulturarbeit zu machen“, sagt Fossi Frey, „da kann man sich schon ausrechnen, aus welcher Ecke die kommen. Dazu kommen gewerkschaftliche Projekte. Und

auf den ABM-Plätzen natürlich Arbeitslose, Lehrer und Akademiker, aber durch das Neue-Außengestaltung-Projekt auch viele Handwerker.“

Heiner Hellmann dagegen gehört nicht direkt zur Bewegung. Er hat eine rote Brille und seit zwei Jahren gemeinsam mit Edu Waltersdorff etwas, mit dem man Geld verdienen kann: ein Modernes. „Wir sind kein gemeinnütziger Verein, sondern eine GmbH, die von zwei Leuten betrieben wird. Wir waren Akademiker (Sozialwissenschaftler/Lehrer) ohne Perspektive. Wir wollten ir

gend etwas zusammen machen, im gastronomischen Bereich. Jeder hatte ja wohl mal die Idee, 'ne Kneipe aufzumachen. Wir wollten auch mal ein Hotel aufmachen, haben aber dann angefangen mit 'ner kleinen Kneipe, und die lag eben zufällig in der Nähe des ehemaligen Kinos Modernes Theater, das gelegentlich noch als Porno-Kino genutzt wurde. Als wir den Raum gesehen haben, ist eigentlich das Konzept entstanden. Wir wollten Kultur präsentieren und auswählen, aber eben nicht produzieren.“ In Kollektivstrukturen arbeiten mochten sie

auch nicht: „Das ist eine ganz persönliche Entscheidung.“

Weil das Ex-Kino aber nur mit Krediten so richtig modern wurde, wird die Art der Veranstaltung durch die zu kalkulierenden Einnahmen vorgegeben. Disco-Abende derweil inzwischen überwiegend für die Umlandjugend helfen, „ein solides Unternehmen auf die Beine zu stellen“, alles fein nach der hanseatischen Kaufmanns-Devise „keine Hasardeurstücke, keine Abzocke, mit allen Beteiligten korrekt umgehen„.

„Da sind schon Veranstaltungen dabei, hinter denen ich nicht stehe, aber ich steh‘ hinter dem Gesamtkonzept. Daß es sich trägt, ist dabei schon ein wichtiger Aspekt“, sagt Hellmann. Der gemeinnützige, ABM-geförderte, engagierte Kulturmensch Frey - mit einem aus Lottomitteln bewilligten Betriebskostenzuschuß von 125.000 DM und Geldern für einzelne Veranstaltungen - dagegen kann es sich leisten, „den Akzent eher auf die Zielvorstellung zu setzen, als daß ich sage, das muß sich rechnen.“

Hellman dagegen spürt bereits so etwas putzig Etabliertes wie „Verantwortung für den Betrieb, für die Leute, die da arbeiten“. Dem begegnet der Norddeutsche, der vor 25 Jahren im zarten Grundschulalter nach Bremen kam, ebenfalls hanseatisch: „Man wirft nicht gerade mit Geld

um sich. Da ist eine Tendenz zum Understatement.“

Trotzdem sind der Hesse Fossi Frey und Jungunternehmer Hellmann neu, Repräsentanten einer brementypisch überschaubaren Schicht des Wir-machen-es-anders-Kulturvolks. „Es verändert sich was“, orakelt Hellmann. „Das alte Bremen ist das von vor 68. Das neue ist das ab 68, und das ändert sich jetzt auch. Der neue Zeitgeist hat natürlich auch Bremen erfaßt. Hier gibt es sicherlich auch so etwas wie den Trend zur Vereinzelung, zur Individualisierung von Schicksalen.“ Manchmal ist es hilfreich, wenn der Wirt Soziologie studiert hat. Kultur sei derweil Selbstzweck. „Nur damit jemand beschäftigt ist“, sagt Kaufmann Hellmann, „das ist 'ne falsch verstandene ABM.“

„Niemand“, einträchtelt auch Frey zum neuen Bremen, „streitet heute ab, daß Kultur nicht nur was kostet, sondern auch was bringt für die Stadt. Und es gibt natürlich die Tendenz zur PR-wirksamen Unternehmenskultur, die eine neue ideelle Gemeinschaft schaffen soll zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Inwieweit der Senat das unterstützt oder konterkariert, ist noch völlig offen. Letztlich mündet es in der Frage, wer soziologisch gesehen die Hegemonie hat in bezug auf Kultur in Bremen.“ Konzerngesponserte Spitzenkultur jedenfalls, sagt Hellmann „ist nicht

mehr spezifisch bremisch, sondern spezifisch für ein Unternehmen.“

Spezifisch bremisch dagegen sei diese merkwürdige Bremer Mischung aus Liberalität und Kleingeist. „Man gibt sich gern fortschrittlich und kriegt immer wieder Angst vor der eigenen Courage“, sagt Frey, „Kleingeistigkeit hat hier auch so einige Tradition.“ Aus der Stadt genug Schub zu bekommen, um Mief zu vertreiben, aber genug Widerstand, sich nicht in Verrücktheiten zu verrennen, ist vielleicht auch schon brementypisch.

In bezug auf Bremens Zukunft kümmern den Modernen Menschen dagegen die stets als düster gehandelten Berufsperspektiven für Kreativ-Akademiker in Bremen. „Das wird immer eher pessimistisch gesehen. Es ist aber tödlich für eine Stadt, wenn kein kreativer Nachschub kommt. Das politische Klima kann man kaum vom kulturellen trennen. Einrichtungen wie Modernes und Schlachthof verhindern, daß Bremen provinziell ist.“

„Ja“, zustimmt der derart verkumpelte Frey, „es wäre hier, glaub ich, sehr öde, wenn es uns beide nicht geben würde.“ Unterhaltsam hanseatisch bliebe dann womöglich bloß: „Du kannst nur in Bremen von einem Senator mit den Fahrrad umgefahren werden.“

Petra Höfer/Regina Keichel