Grauer Alltag - Goldenes Zeitalter

■ Reisenotizen aus Rumänien

Roland Hofwiler

Der Kuchen schmeckt sonderbar. „Schweinefutter“ nennen ihn die Rumänen, und doch verschlingen sie die „Cremes“ wie eine Delikatesse. Jeder, der im „Mikrokomplex“, so der Name des einzigen „Cafes“ im Ort, reinschaut, stürzt sich an die Theke und verlangt nach dem 100-Gramm-Fladen zu 6,50 Lei. Äußerlich ähnelt er einem Apfelkuchen. Brauner Teigboden, Fruchteinlage, zuoberst ein Zuckerguß. Doch beim ersten Bissen merkt man, die Masse hat mit einer Leckerei nichts gemein. Eine Mischung aus säuerlicher Milch und Wassergrütze, die im Munde einen leichten Fischgeruch ausströmt.

Eine Bauersfrau kommt an den Stehtisch. „Iß endlich auf“, motzt sie, „oder gib mir deine Gabel.“ Ich verstehe nicht, was sie will. Doch sie wartet nicht, nimmt das Besteck, geht an ihren Tisch und, ohne die Gabel abzuputzen, schlingt sie den „Einheitskuchen“ in großen Bissen hinunter. Auch das andere Besteck wandert von Person zu Person, ohne von der Bedienung am Tresen ein einziges Mal gewaschen zu werden. Kennt man im 700-Seelen-Dorf Teliu keine Hygienemaßnahmen? Oder liegt es nur daran, daß man in Ceausescus Reich kein Spülmittel mehr kennt und Warmwasser nicht mehr zum Alltag gehört? „Blöde Frage, wenn du Hunger leidest, frißt du wie ein Vieh. Soll ich dir sagen, wenn ich zum letzten Mal in den Genuß kam, ein Hühnchen zu verzehren? Dieser Scheißkerl da oben“, der Kleinbauer, der so aggressiv auf meine Frage eingeht, deutet gen Himmel, als säße dort der Teufel, „dieser Dreckskerl läßt uns noch verhungern, ganz langsam, aber brutal, und wir Bauern sind als erstes dran.“

Telin, eines der unzähligen Dörfer im Karpatengebirge. Schon Anfang November überdeckt Schnee die Häuser. Doch aus den Schornsteinen steigt kein Rauch. Die Karpatenbauern, geizige Leut‘? Unsere Bekannten lachen: „Kennt ihr nicht das Dekret des Führers: Bis zum 15.November sollt ihr frieren?“ Plan ist Plan im Reiche des Conducatore, des Führers, wie sich der „rote“ Monarch Nicolae Ceausescu von seinen 22 Millionen Untertanen anreden läßt. Und „Untertan“ ist keine bloße Metapher. „Die Heizperiode beginnt am 15.November und dauert bis zum 15.März“, so lautet das Dekret, dessen Wortlaut nie veröffentlicht wurde, denn selbst das hält der Conducatore nicht für nötig, seinem Volk mitzuteilen. Dennoch kennt jeder den Erlaß, und jeder beachtet ihn in Telin. Denn wer nicht frieren will und im Bauernhaus heimlich den Ofen anzündet, riskiert viel. Die Denunzierungsmöglichkeiten sind groß, die Strafen hart. Für einmaliges heimliches Heizen steht ein Monat Gas- und Stromsperre, für mehrmaliges - Zwangsarbeit. So erzählen es die einfachen Leute. Wo ist die Wahrheit

im Land der Lügen?

Übertreibung, Wahrheit oder Wichtigtuerei? Man weiß nie, wem man was und wieviel glauben soll in Rumänien. Kann man den Freunden trauen, sind sie ehrlich? Oder ist dies überhaupt die richtige Frage? Schon der bloße Gedanke, nie zu wissen, was wirklich geschieht, läßt einen schaudern.

Da rief eines Mittags ein Freund an. Wollte mich am Telefon sprechen, das abgehört wird. Der Freund wußte, ich lebe „illegal“, denn das private Wohnen ist für Ausländer, egal ob aus dem sozialistischen oder kapitalistischen Ausland, unter Androhung einer 5.000 Lei Strafe (zwei bis drei Monatsgehälter) untersagt. Der Freund wußte auch, daß meine Freundin und ich unsere „Schatten“ hatten, die uns, wohin wir auch gingen, nachspürten. Trotz alledem, oder gerade aus diesem Grunde, erzählte er am Telefon voller Erregung: „Stellt Euch vor, was der Budapester Rundfunk meldete: Herta Müller, Richard Wagner, Helmut Frauendorfer und William Totok, rumäniendeutsche Schriftsteller im Berliner Exil, sollten durch die rumänische Securitate ermordet werden.“ Und außer Atem fügt der Freund, ein siebenbürger Ungar, hinzu: „Sind das nicht Freunde von Euch?“ Was wollte er hören? Machte er sich bloß Sorgen und wurde unvorsichtig, oder verarbeitete er seine Angst, indem er von uns hören wollte, daß auch wir Angst hätten, wie alle anderen?

Leben in real existierender Angstpsychose. Ob auf dem Dorf, in der Stadt, bei armen Leuten oder der „vornehmen Gesellschaft“, die es auch gibt im Lande des Conducators es wird geflucht, geschimpft und verwünscht: er möge zur Hölle fahren, dieser Wahnsinnige, der die Dörfer vernichten und die Menschen hungern läßt. Aber nichts geschieht, kein Widerstand scheint sich zu regen. Nein, so lange er lebt, werde sich nichts ändern, könne man nichts tun, er sei der „neue Allmächtige“. „Ihr müßt Euch vorstellen, wir sind eine an Aids erkrankte Gesellschaft, in der das gesellschaftliche Immunsystem vollkommen vernichtet und jeder einzelne seiner Widerstandsfähigkeit beraubt ist“, versucht Vlad, ein Computerspezialist, seine Lethargie und Angst zu erklären. „Wir lassen uns alles gefallen, wie in Orwells Roman 1984.“ Halblautes Denken

Nur vor einem Jahr, da war es anders. In Brasov, Kronstadt, dessen Namen schon den Gedanken „Aufstand“ wachruft. Und so starren sie denn auch alle auf den 15.November, jenen Tag des vergangenen Jahres, als tausende Arbeiter offen und militant gegen Ceausescus Politik auf die Straße gingen. Ein Tag, an dem Stadtparlament und Parteihaus gestürmt wurden, die Menge all das erbeutete, was es seit Jahren nicht mehr zu sehen gibt: Fleisch und Weine, Schockolade und Pralinen, Baumwollhemden und Kosmetika, alles fein gelagert in der Kantine der Parteizentrale.

Ein Jahr später fragen sich die Rumänen wieder, wer wird mutig sein? In den ungemütlich kalten Cafes und Kneipen sagen sich die Menschen bei Kräutertee und Zuckerrübengrütze, es müsse doch wieder etwas geschehen, denn alles sei ja seither nur noch schlimmer geworden. Nein, nicht mehr hinter vorgehaltener Hand: Die Angst zu reden ist den Kronstädtern mittlerweile gewichen. „Gott sei Dank, wenigstens das“, erklärt Vlad, „egal, ob die Geheimpolizei mithören kann, man denkt schon halblaut.“

Es wimmelte am ersten Jahrestag der Hungerrevolte von Securitate-Leuten. Waren sie gar zahlreicher auf den Straßen als die ausgehungerten Arbeiter? Waren sie es, die sich an die Parole hielten, die in einigen Großbetrieben ausgegeben wurde: als Zeichen der Unzufriedenheit spazieren zu gehen, während die Angestellten sich in ihren kalten Wohnblocks verkriechen? Der offizielle Polizeibericht spricht zwar von 30 Festnahmen, Hunderten von Verhören und Sonderschichten für über 10.000 Polizisten. 23 Arbeiter seien wegen politischer Agitation allein in jenem Betrieb festgenommen worden, von wo aus im letzten Jahr die Hungerrevolte ihren Anfang nahm, im Lastwagenkombinat „Steagul Rosu“, heißt es in dem Polizeibericht, der unter der Hand weitergegeben wird. Parolen gegen Staats-, Partei- und Armeechef Ceausescu seien in den frühen Morgenstunden des Jahrestages an das Fabriktor von Steagul Rosu gesprüht worden, bestätigen Arbeiter. Der Warmwasserschock

Gab es andere Zwischenfälle? „Mich dürft ihr nicht fragen, ich halte nichts von Politik“, erklärt Ildiko, eine Kindergärtnerin, „ich freue mich immer wieder auf das was morgen sein könnte - und ich finde immer wieder einen Anlaß.“ So bemerkte sie zufällig mitten in der Nacht vom 13. auf den 14.November, daß plötzlich Warmwasser aus dem Wasserhahn floß. „Ich weckte die Kinder und meinen Mann um ein Uhr nachts auf und wir feierten.“ Ein Wunder war für die Familie der Ildiko W. geschehen. „Nach drei Wochen konnte ich endlich wieder ohne große Mühe Wäsche waschen und die Kinder baden, nur mein Mann, der kam etwas zu spät, der wollte nicht mitten in der Nacht ein Bad nehmen - doch als er um fünf Uhr aufstehen wollte, war der Warmwasserspuk schon wieder weg.“ In Ildikos Wohnung ist der Strom- und Gasdruck allgemein so schwach, daß es manchmal tagelang unmöglich ist, die Waschmaschine in Gang zu setzen oder in größeren Mengen Speisen auf dem Herd zuzubereiten.

Alle hatten gedacht, wenigstens zum 15.November würde sich der Conducatore eine Kleinigkeit ausdenken, um „das Leben seiner Untertanen zu versüßen“, doch nichts geschah. Wer Erwartungen hatte, wurde bitter enttäuscht. Ein paar Straßenzüge vom Parteihaus Kronstadts entfernt arbeitet Tatjana. Kundschaft ist keine im Laden. Sie nimmt kein Blatt vor den Mund. 400 Lei habe sie im Oktober in ihrer Lohntüte gesehen, doch eigentlich stünden ihr 1.800 Lei im Monat zu. Wo doch Strom und Gas bei Minimalverbrauch schon 800 Lei koste. Aber wegen „Untererfüllung des Plans“ bekomme jeder Verkäufer nur ein Viertel seines Gehalts. „Aber wie sollte ich denn etwas verkaufen? Außer Tomaten und Fischmehlkonserven (sic!) bieten wir nichts.“ Verzweifelt fügt sie hinzu: „Ob das je anders wird?“

Zwei Tage später jedoch, Montag, den 14.November: Schon bricht die Dunkelheit herein, da schwappt eine Welle feinsten Schafkäses in die 100.000 Einwohner zählende Metropole, die zweitgrößte Stadt Rumäniens. In Blitzeseile bildet sich eine Schlange vor Tatjanas Laden. Wir stellen uns an. Nach zwei Stunden kommen wir an die Reihe, um je eine Ein-Kilogramm-Portion abzuholen, für 31 Lei gegenüber 150 bis 200 auf dem Schwarzmarkt, auf dem aber Käse, Eier und Mehl so gut wie nie zu finden sind. Tatjana ist guter Stimmung: „Na, für diese paar Überstunden heute komme ich wohl in diesem Monat mit einem doppelten Monatsgehalt heraus, vielleicht sogar noch mit einem Orden für Überfüllung des Plans - wo geht es Arbeitern schon so gut wie uns?“

Ein Sarkasmus, der im Armenhaus Osteuropas den Menschen stets auf den Lippen liegt. „Warum gibt es bei uns keine Zigaretten mehr?“ höre ich einen Studenten zu seiner Freundin sagen. „Du weißt es nicht? Hast du nicht Ceausescus neues Dekret gelesen, auf leeren Magen soll man nicht rauchen?“ Ein bitterer Sarkasmus. Der Schwarzhändler, der unsere Freunde, die 6.000 Lei im Monat verdienen, mit Fleischprodukten versorgt, die er aus den Ausländern vorbehaltenen Nobelhotels erschleicht, kann es nicht lassen, Schreckensgeschichten zu verbreiten. So habe vor zwei Tagen eine Mutter ihr Kind getötet, das an einer Hirnhautentzündung erkrankt sei, erzählt der Schieber in ruhigem Ton, als sei das alltäglich. Die Frau hätte es getan, weil man ihrem Kind keine medizinische Behandlung zukommen ließ. Sein trockener Kommentar: „Wenn die Frau nicht einmal in der Lage ist, für ihr Kind eine Beziehung ins Krankenhaus aufzubauen, nicht einmal Kaffee für die Bestechnung hat, geschieht es ihr recht, daß sie ihr Kind verliert. Man muß dem Überlebenskampf eben gewachsen sein.“ Auf die Frage, was nun mit der Mutter sei, fügt der Händler noch trockener hinzu: „Wie ich gehört habe, muß sie jetzt in einem Bergwerk den Knast absitzen.“ Keine Krankenbetten

für die Alten

Genosse V.P. kann nicht klagen. Der ehemalige Richter am obersten Gerichtshof in Bukarest lebt seit acht Jahren im Ruhestand und glaubt an seine reine Weste. Auf die Partei läßt er nichts kommen. Nein, ein Oppositioneller sei er nicht, Dissidenten hasse er, die wollten ja nur den „Kapitalismus restaurieren“, ein Prozeß, den mittlerweile gar die Sowjetunion erfaßt habe. V.P. will sich auf mich nicht einlassen, „aber wenn Sie schon einmal in meinem Haus sind, auch wenn sie ungebeten kamen, will ich Sie nicht von der Tür weisen. Als Internationalisten sind wir offen für Gespräche.“ Wie steht er, der in den fünfziger Jahren die Verfassung mitentwarf, zu der Dekret-Politik des Generalsekretärs der Kommunistischen Partei Rumäniens? „In der Verfassung eines jeden Landes gibt es die Bestimmung, daß der Präsident eigene Dekrete bestimmen kann, die nicht mit dem Parlament abgestimmt werden müssen.“ So sei eben auch in der rumänischen Verfassung solch eine Möglichkeit vorgesehen, doch habe man nie daran gedacht, daß dies einmal mißbraucht werden könnte. Würde er öffentlich Kritik an Ceausescus Führungsstil kundtun? „Machen Sie keine Dummheiten; Sie vergessen wohl, vor wem Sie stehen.“ Er verrate mir nur ganz im privaten, es sei allein die Dekret -Politik, die Ceausescu an der Macht halte, „eine durch und durch undemokratische, für den Aufbau des Sozialismus schädliche Politik“. Und er zählt auf, es gäbe nicht nur das Heiz-Dekret. Nein, es gäbe bereits Dekrete, die allen Personen über 65 Jahre im Krankheitsfalle die Einweisung ins Hospital verbieten; andere, die die Säuglingssterblichkeitsrate zum Staatsgeheimnis erklären und die Benutzung jeglicher Art von Verhütungsmitteln, selbst Kondome, unter Strafe stellen. „Das ist Willkür, die Sie nirgendwo sonst in einem sozialistischen Staat finden - aber mehr erzähle ich Ihnen nicht.“ Ob er denn die Dekrettexte zeigen könne? V.P. schaut mich mit großen Augen an: „Natürlich haben wir auch schon das Dekret, das besagt, der Wortlaut mancher Dekrete wird als Staatsgeheimnis geführt.“ Fabrikdirektor

als Schwarzbrenner

Mit dem Alkohol entgiften wir unsere Seelen“, bemerkt Herr C., Leiter einer Fabrik in Hermannstadt (Sibiu). „Aber selbst das ist kein einfaches Unterfangen.“ Und Herr C. erzählt. 800 Kilometer fuhr er im September, um bei einem Freund in Constanta Zucker einzukaufen, 35 Lei das Kilogramm. „Mit dem Auto mußte ich reisen, wie sonst hätte ich die heiße Ware unbemerkt transportieren können?“ Und Herr C. flucht: „Eine scheißteure Fahrt, denn mein Dacia frißt 15 Liter auf 100 Kilometer.“ Er rechnet vor, 120 Liter Spritt für 40 Kilogramm Zucker, davon 90 Liter durch Beziehungen erschwindelt zu 40 Lei den Liter. Denn monatlich stehen jedem Autofahrer nur 30 Liter Benzin zur Verfügung. „Teuer, teuer ist ein guter Tropfen - aber was soll man machen?“ stöhnt Herr C. Aber er ist froh, illegal 80 Liter Schnaps und 280 Liter Wein gebrannt zu haben. „Das reicht für das nächste Jahr, es sei denn, die Securitate kommt mir ins Haus.“ Er hat Angst. Er ist böse auf seinen jüngeren Bruder, der abtauchte, sich der „Bewegung für ein freies Rumänien“ anschloß, die zum Sturz gegen Ceausescu aufruft. „Ein Idiot! Allein gegen den Rest der Welt. Er setzt alles aufs Spiel, sein Leben, das seiner Frau und Kinder, und bringt uns mit in Gefahr. Als ob er nichts von Sippenhaft wüßte. Dabei hatte er doch alles: ein warmes Haus, gute Beziehungen und eine ausgezeichnete Stellung.“ Herr C., Parteimitglied, Fabrikdirektor, glücklich verheirateter Vater von vier Kindern, möchte sich nicht beklagen. Nicht über den Rand des Suppentellers sehen, nicht wahrhaben, daß er seit Monaten keinen Braten mehr gesehen hat, keinen Siebenbürger Gugelhupf am Feiertag. Jeden Morgen steht er um halb fünf für drei Liter Milch auf, jeden Mittag rennt er auf den Schwarzmarkt, um Eier für die Kinder zu erstehen meist vergebens. Doch Herr C. hat ein Telefon. Er hebt es aber nicht mehr ab. Es könnte ja einmal sein Bruder dran sein. Und unnötigen Ärger sollte man vermeiden.

Und die kleinen Querulanten, die in Rumänien selbst etwas verändern wollen, welches Schicksal ereilt sie? Es gibt sie hier und da, aber ihr Schutz baut auf Verschwiegenheit auf. Noch wollen sie ihre Namen nicht preisgeben, sich an die Weltöffentlichkeit um Unterstützung wenden. Ein abschreckendes Beispiel kennt man in Rumänien: Am 25.August sandten 20 Intellektuelle um die Hochschullehrerin Doina Cornea einen Offenen Brief an Ceausescu, als Protest gegen die Dorfzerstörungspläne. In wenigen Tagen stellte man alle Mitunterzeichner unter Hausarrest. Frau Cornea soll sich mittlerweile in einem Bukarester Gefängnis befinden, ihre Freunde weiterhin unter Dauerüberwachung. Ein geschlossener Kreislauf, den die Intellektuellen selbst noch nicht durchbrechen und von dem das einfache Volk nichts weiß.

Die plagt der Alltag. Da sind selbst die Reformen in der Sowjetunion Ereignisse von einem anderen Planeten. Die rumänische Presse schreibt nichts darüber, sowjetische Presseerzeugnisse sind einem Dekret zufolge als ganzes „nicht der Öffentlichkeit anzubieten“, über ein 'Sputnik' -Verbot wie in der DDR können die Rumänen nur lachen.

Allgegenwärtig wachen Landesvater Nicolae und Landesmutter Elena, deren Bild man sich wie in Orwells Roman an keiner Stelle entziehen kann. An fast keiner Stelle: Die Antiquariate in den Großstädten sind die heimlichen Treffpunkte der Intellektuellen. Denn während Kino, Theater und Fernsehen nur die Verherrlichung der „goldenen Epoche Nicolae Ceausescu“ bieten und im dreistündigen Fernsehprogramm alltäglich nur ein Name in goldenen Lettern gepriesen wird, bieten die ungeheizten Antiquariate noch einen geistigen Freiraum. Der An- und Verkauf wickelt sich in rasender Schnelle ab. Ein gutes Buch steht kaum länger als einen halben Tag im Regal. Wen verwundert das? In den staatlichen Leihbibliotheken kommen immer mehr Bücher auf den Index, „weil der vielbelesene Conducatore immer genauer weiß, was der Volksseele wohl bekommt und was nicht“, wie es in einem Spottvers ironisch heißt.

Abreise. Mit zwei Koffern voller Bücher, mehreren Schmalzbroten, zwei Äpfeln und einer Paprika im Gepäck ziehen wir zum Bahnhof. „Ein Abschied soll es nicht werden, wir sehen uns wieder“ - solch große Worte spucken wir auf dem Bahnsteig. Spucken noch einmal vor das Wahrzeichen des Bahnhofs, einem Spruchband in roten Lettern: „Allseits den klugen Weisungen des Genossen Nicolae Ceausescu folgend...“ Die Freunde bleiben zurück, der Balt-Orient-Express fährt ein. Eintritt nur gestattet für den, der einen Paß vorweisen kann. Für die Rumänen ein Traum. Seitdem in den Nachbarländern Glasnost angesagt ist, gilt schon eine Reise ins sozialistische Ausland als ein Privileg, das seltener ausgesprochen wird als für Ost-Berliner eine Besuchsreise in die westliche Hälfte der geteilten Stadt. Die wenigen Fahrgäste sind meist Ungarn, Tschechen und Polen. Ihnen allen gemeinsam ist: Sie sind Schwarzhändler, Seifen- und Kosmetika-Lieferanten, Fleisch- und Kaffeeschieber. Hin und wieder findet man auch einen, der sich auf den Handel mit Verhütungsmitteln aller Art verschrieben hat - ein ganz mutiger, der viel riskiert, doch auch am meisten zu gewinnen hat. Letzte Anweisungen werden ausgetauscht, die schwarz verdienten Lei gut versteckt, und als das Signal zur Abfahrt gegeben wird ein allgemeines Aufatmen in den Abteilen: „Was macht man nicht alles fürs Geld, aber es lohnt sich“, lacht ein Krakauer Händler. „Wer hätte je gedacht, daß ich einmal Seifenmillionär werde, und das im Sozialismus!“