Eine Sprache und eine andere

■ Die Bedingungen von Literatur in Arabien

Man schreibt, wenn man fühlt, daß man etwas zu sagen hat“, sagt Michel Kilo und lächelt beredt. Der in Paris lebende syrische Schriftsteller und Journalist weiß um die Probleme des arabischen Dichters im allgemeinen und seit seinem zweijährigen Knastaufenthalt in Syrien auch im besonderen ausreichend Bescheid.

Im allgemeinen bedeutet: Die Grundbedingungen für arabische Autoren sind schlecht. Während 1979 alle arabischen Verlage etwas mehr als 10.000 Titel publizierten, sank diese ohnehin kärgliche Zahl 1981 auf 7.500. Die arabische Welt belegt so mit kümmerlichen 1,1 Prozent Anteil hinter Ozeanien den letzten Platz der Weltbuchproduktion. In Europa einschießlich der UdSSR - wurden 1979 vergleichsweise knapp 400.000 Buchtitel produziert.

Hinzu kommt das Problem der Sprache. „Die Araber sprechen eine Sprache und schreiben eine andere“, stellt der Goncourt -Romanpreisträger von 1987, Tahar Ben Jelloun, fest. „Die eine ist die des täglichen Umgangs, die ändert sich von Nation zu Nation und manchmal von Region zu Region; die andere die der Literatur - die klassische Sprache des Koran. Zwischen beiden allerdings gibt es eine vermittelnde Sprache - die Sprache der Presse und der Kommunikation unter Intellektuellen. Sie wird geschrieben und gesprochen, aber nicht anerkannt.“

Auch die Analphabetenrate ist in der arabischen Welt nach wie vor hoch: In Marokko sind mehr als zwei Drittel der Bevölkerung des Lesens und Schreibens unkundig, in Ägypten mehr als die Hälfte und noch im reichen Kuweit weiß gut ein Drittel der Menschen weder Griffel noch Alphabet zu handhaben. Die politische Zerrissenheit der arabischen Länder - von der absolutistischen Monarchie bis zur sozialistischen Volksdemokratie ist jede Regierungsform vertreten - verurteilt darüber hinaus alle Bemühungen um einen gemeinsamen Buchmarkt zum Scheitern.

„Es gibt heute“, sagt Michel Kilo mit resignierendem Kopfschütteln, „keine einheitliche kulturelle Praxis zwischen den einzelnen Ländern des nahen Ostens und Nordafrikas.“ Ein syrisches Buch hat kaum Chancen, in Ägypten, dem Irak oder in Algerien zu erscheinen. Gelingt es aber einem Buch, die schwer durchlässigen Politgrenzen zu passieren, dann werden oft die Verlags- und Autorenrechte ignoriert. Oder das komplizierte System der Devisenumrechnung schafft Horrorpreise. Nicht zuletzt zirkulieren häufig mehr Raubkopien als legitime Ausgaben eines Buches. „Jeder kann tun, was er will“, resümiert Kilo. „Dem Schwarzmarkt für Gedankenhandel sind Tür und Tor geöffnet.“

Soviel zu den allgemeinen Bedingungn des arabischen Autors. Doch auch die besonderen sind kreativem Schaffen nicht gerade förderlich. In etlichen Ländern herrscht eine rigide Zensur. „Und“, so der Autor, der nicht genannt sein will, „es ist eine dreifache Zensur: Einmal die innere Zensur, mit der man der staatlichen den tödlichen Biß nehmen will. Dann die tatsächliche staatliche Zensur und schließlich die sehr wirksame gesellschaftliche Zensur religiöser und politischer Vereinigungen.“ Der algerische Schriftsteller Raschid Boudjedra dagegen erklärt: „In Algerien gibt es eigentlich keine direkte staatliche Kontrolle. Auch sind nicht -staatliche Verlage zugelassen.“ Doch an Boudjedras vorsichtig-listige Aussage schmiegt sich noch ein beiläufig hingemurmelter Zusatz von „finanzieller Kontrolle“.

Hat man all diese Klippen mit Glück und Geschick umschifft, dann fehlt nur noch ein Verleger. Doch der ist heute in der arabischen Welt nur schwer zu finden. „Beirut“, so Boudjedra, „hatte vor Bürgerkrieg und israelischer Invasion den Löwenanteil von 80 Prozent am arabischen Verlagswesen. Die starke Schwächung Beiruts trifft uns hart.“ Für Kilo sind noch andere Gründe wichtig: „Das Camp-David-Abkommen vom Dezember 1978 ist für die Kairoer Buchproduktion verheerend gewesen. Denn mit der Aufgabe des panarabischen Anspruches ging die Preisgabe des gemeinsamen Kulturanspruches einher.“

Versuche, Beirut und Kairo zu ersetzen, hat es gegeben. „Das syrische Projekt von 1987, im Land ein Zentrum für Literatur aufzubauen, ist gescheitert“, erzählt Kilo. „Damals wurden innerhalb eines einzigen Monats Lizenzen für 112 Verlage ausgegeben. In einem Monat! Wo doch normalerweise für jede Druckseite Genehmigungen vom Innenministerium, Bewilligungen vom Informationsministerium, Unbedenklichkeitserklärungen vom Geheimdienst usw. usw. notwendig sind. Doch die Lizenzen gingen hauptsächlich an Leute ohne verlegerisches Konzept, ohne Erfahrung und ohne Ambitionen. Tja, Gott gibt die Nüsse und Mandeln dem Zahnlosen!“

Auch Bagdad war einmal als Literaturzentrum im Gespräch. Der Golfkrieg ließ die Pläne buchstäblich in die mesopotamischen Binsen gehen. Für Boudjedra allerdings steckt in diesem fortwährenden Scheitern System: „Immer, wenn es ein kulturelles Zentrum gibt, kommen die Imperialisten, um es zu zerstören.“

Wie aber wird die Zukunft aussehen? „Schon heute“, sagt Kilo, „gibt es in den Golfstaaten eine rege Buchproduktion. Aber unter Ausschluß der Literatur. Religiöse Erbauungs -Traktate und fundamentalistische Kinderbücher hauptsächlich. Wir werden uns daran gewöhnen müssen, daß in Zukunft die Mehrzahl der arabischen Bücher vom Golf kommt.“ Kilos Stimme klingt, als hätte er eben die globale Invasion der afrikanischen Wanderheuschrecke prognostiziert. Trotzdem sieht er nicht gänzlich schwarz für die arabische Literatur. „Die Mittelklassen in den arabischen Ländern sind laizistisch. Ihre Angst vor einem fundamentalistischen Tohuwabohu sitzt tief. Und in einigen arabischen Staaten sehe ich eine Abschwächung des Zentralismus und liberale Gesten. Das erlaubt einen vorsichtigen Optimismus, was die Grundbedingungen für Literaturproduktion betrifft.“ Auch Boudjedra gibt sich optimistisch: In Algerien sieht er das Ende der Politik des kurzen Blicks und der raschen Hand kommen, und „die Nachfrage nach Literatur steigt“.

Walter Saller