DAS KLINGENDE TELEFONBUCH

■ Zum Buch „Rock City - Jazz in Berlin“

„Was uns weniger nützt, sind jedoch pauschale Rundumschläge und Schläge unter die Gürtellinie.“ So heißt es im Vorwort zur siebten Neuausgabe von „Rock City - Jazz in Berlin“, ein knapp 500seitiges Nachschlagewerk zur Musik in Berlin. Der Kritiker ist also vorgewarnt, mit dem zur Romandicke aufgeblähtem Adressverzeichnis nicht zu hart ins Gericht zu gehen. Beginnen wir mit der Lobhudelei.

In ausschweifenden Selbstdarstellungen werden Hunderte von Amateurcombos präsentiert, von denen man einige weder auf der Bühne, noch sonst wo treffen möchte. Da kündigt ein gewisser Herr „Stodnick“ unter der Rubrik „Solid Pleasures“ seinen Auftritt folgendermaßen an: „Die Power, die auf der Single rüberkommt, wird von dem gelernten Schlosser auch live verabreicht, echt!“ Das darüber abgebildete fies grinsende Gesicht mit Oberlippenbärtchen, Matschauge und kettenbehangener Schlosserpranke preist seine Single „Au warte, Dein Lächeln“, Gettoton, Bestellnr. 1002, an. Das nennt man perfekte Promotionarbeit.

Aber bleiben wir bei der sachlich fundierten Kritik. Die Einteilung der einzelnen Bands in Untergruppen wie „Hot Legs“, „Fernweh“, „Klangwelten“ über die oben genannten soliden Vergnügungen bis zu „Independent“ ist, ohne jemandem in den Magen schlagen zu wollen, schlichtweg schwachsinnig. Oder unter welcher Rubrik würden Sie die weltberühmte Berliner Gruppe „7 Kick The Can“, die nach eigenen Angaben „7 Ecken Musik“ macht, suchen? Haben die vielleicht heißere Beine als „Dead Fish Go Bananas“, die wiederum von irgendetwas unabhängig (Independant) sein müssen.

Wenn man die übliche Kategorienschieberei aus verständlichen Gründen ablehnt, sollte man nicht unbedingt noch inhaltsleerere Schubladen aufreißen, sondern lieber gleich alphabetisch vorgehen. Bleibt nur die vage Hoffnung, daß die Unmenge verzeichneter Musiker nicht schon die Anzahl der Berliner Alphabetsbeherrscher übersteigt.

Nun zur konstruktiven Kritik. Die dicke Schwarte „Rock City Berlin“ beinhaltet auch einen redaktionellen Teil, der mit Interviews und Reportagen rund ums Musikgeschäft aufwartet. Ein Artikel über die Gema und mehrere lang ausgewalzte „Gespräche“ reihen sich aneinander. Zum Teil informativ, zum Großteil langweilig geschwätzig, äußern sich die Musikmanager. Ulf Switalski, 24 Jahre, hat gleich mal eine Firma gegründet, die „Material World Production“ und offenherzig wie der junge Mann nun einmal ist, sagt er auch gleich, worum es geht: „Aus diesem Frust heraus, daß die Musikbranche sehr geldorientiert arbeitet, und eben nicht idealistisch, ist auch der Name entstanden, der das beschreibt, um was es im Endeffekt bei allen geht: nämlich um Geld.“

Weitere Interviews präsentieren einen Mitarbeiter des Senatsrockbeauftragten, Schallplattenladen- und Label- und Werbestudiobesitzer, außerdem einen Musikkritiker der 'Morgenpost‘. Durch die Fragen zieht sich die quälende Angst der Autoren, Berlin könnte vielleicht doch nicht wichtig genug sein, um es ständig als europäische, wenn nicht sogar Weltmetropole der Musikszene anzupreisen. „Angetrieben durch den Riesenerfolg der Rainbirds entsteht ein Sog, der noch viele Berliner Bands auf die Karrierebahn schleudern wird. Berlin ist wieder interessant geworden für Plattenunternehmen“, folgert Oliver Glasenapp in seinem „Nachdenklichen Jahresrückblick“. Wenn eine dumpfe Hitparadennummer eine Stadt dermaßen erheben kann, muß eine realistische Selbsteinschätzung wohl auf der Strecke bleiben, wenigstens die Tradition des Berliner Größenwahns bleibt so gewahrt. Wer würde Osnabrück zur Musikmetropole verklären, nur weil es die Heimatstadt von Heinz-Rudolf Kunze ist? Aber auch solchen Bestrebungen von potentiellen Konkurrenzprovinzmetropolen haben die Autoren längst einen sicheren Riegel vorgeschoben. Wie heißt es so schön im Editorial: „Der Titel Rock City - Jazz in Berlin ist urheberrechtlich geschützt, in allen Schreibweisen und Variationen und in Verbindung mit beliebigen Städtenamen.“ Wie ein roter Faden zieht sich eine kritiklose Verehrung durch Beiträge und Interviews. Wenn man mit Berlins Konzertmogul Peter Schwenkow spricht, sollte man ihn vielleicht auch fragen, warum er, als Generalpächter der Waldbühne, niemand anderem diesen Veranstaltungsort vermietet und damit andere Konzertorganisationen in die Messehallen oder sogar in die Pleite treibt. Statt dessen darf Schwenkow Imagepflege für sein Unternehmen Concert -Concept betreiben, das zum Kulturförderer hochstilisiert wird, weil man Michael Jackson und Pink Floyd endlich einmal vom Reichstag bis Charlottenburg hören konnte. Das nennt sich Kulturpflege auf Weltstadtniveau.

Ansonsten bietet das Buch, und damit kommen wir endlich zur lobenden Kritik, durch seine diversen Adressenverzeichnisse, eine brauchbare Arbeitshilfe für Leute, die etwas mit Musik zu tun haben. Es beinhaltet Anschriften von Konzertorten, Agenturen, Medien und Musikverlagen in der gesamten BRD. Und natürlich vieler Berliner Musiker und Bands. Fragt sich nur noch, wie lange die Namen aktuell bleiben, vielleicht wenigstens ein knappes Jahr, bis zum nächsten Senatsrock, wo man sich bekanntlich nicht zweimal unter dem gleichen Bandnamen bewerben darf. Auch ein Telefonbuch muß einmal zum Altpapier.

Andreas Becker

„Rock City - Jazz in Berlin“, extent Verlag, Berlin 1988, 19,80 Mark.