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Frankfurter Uni-Streik - eine Basis-Bewegung

Sämtliche Fachbereiche der Frankfurter Universität sind im Streik / Etablierte Hochschulgruppen wurden von der Entwicklung überrascht Initiative der Fachschaften: Streiks gegen die miserable materielle Situation, aber auch gegen „monotonen Alltag“ an der Universität  ■  Aus Frankfurt Michael Blum

„Die einen boxen sich durch ihr Studium im Glauben an eine imaginäre Karriere, die anderen sitzen ihr Studium ab und warten auf bessere Zeiten. Viele aber halten ein Studium erst gar nicht durch, weil ihnen diese Gesellschaft keine Perspektive mehr bietet“, resümierte ein Sprecher des Zentralen Fachschaftenrates der Johann Wolfgang Goethe Universität-Frankfurt den studentischen Alltag im Jahr 1988. Seit zwei Wochen sind die StudentInnen in einem „aktiven Streik“. Vollversammlungen, Aktionen einzelner Fachbereiche und Demonstrationen mit über 10.000 TeilnehmerInnen in der Frankfurter Innenstadt wechseln einander ab.

Seit Jahren sind die miserabelen Studienbedingungen an den bundesdeutschen Universitäten und Fachhochschulen bekannt. Warum aber bricht gerade jetzt der Protest in Hessen so massiv und für Außenstehende überraschend aus? „Es sind mehrere Faktoren, die aufeinander trafen“, vermutet eine Studenten-Sprecherin. Die seit Semester-Beginn „spürbar wachsende Unzufriedenheit“ mit den Studienbedingungen, den Studieninhalten und der sozialen Lage der StudentInnen benennt sie als wesentliche Faktoren. Ein Phänomen ist es allemal, was sich derzeit in der Frankfurter Uni ereignet: Alle 21 Fachbereiche sind im aktiven Streik.

JuristInnen gehen ebenso auf die Straße die Philosophen, WirtschaftswissenschaftlerInnen diskutieren zusammen mit Gesellschaftswissenschaftlern. Und die „Bewegung“ kommt von der studentischen Basis: „Der rechte AStA von Giraffen und RCDS wurde ausgesetzt, und auch die anderen etablierten Hochschulgruppen wurden von der Entwicklung weitgehend überfahren“, meint ein Sprecher des Zentralen Fachschaftenrates, dem obersten Streikorgan. Die Initiative wurde von den Fachschaften ergriffen - unterstützt von vermeintlich entpolitisierten Studierenden. „Der aktive Streik wird genau von den Leuten mitgetragen, die versucht haben, sich in eine individuelle Lösung - Rückzug ins Private, Karriere an der Uni - zu flüchten. Eben von denen, die sich nicht mehr hochschulpolitisch betätigten.“

Viele Studierende studieren wieder gerne, wissen an den Hochschulen Lehrende zu berichten. Die derzeitigen Unruhen würden großteils auf die praktischen Probleme - wie mangelnde materielle Ressourcen - zurück gehen. Die Frankfurter ZentralratssprecherInnen weisen diese Mutmaßungen jedoch zurück: „Sicher ist, daß die Leute nicht gerne an der Uni sind. Ein Grund sind bestimmt die materiellen Mängel, aber das erklärt weder die Langeweile noch die Unzufriedenheit, die in fast jedem Seminar offensichtlich ist.“ Diesen „monotonen“ Alltag aufzubrechen, sei das „wesentliche Moment“ des Streiks. Die Frage, ob sich das „jeweils in 'ädaquaten‘ politischen Forderungen niederschlägt, rechtfertigt keine Kategoriesierung als 'unpolitische‘ Bewegung“. Freilich ging es um die Verbesserung der individuellen Studienbedingungen, aber auch um mehr: „In Frankfurt versuchen die Studenten ihre eigene Sachen zu machen, führen ihre Diskussionen und Aktionen in eigener Regie und setzen etablierten Formen ihre Vorstellungen von Uni-Alltag entgegen“, berichtet ein Sprecher. „Über 6.000 Studierende besuchten vergangene Woche eine Vollversammlung und verabschiedeten eine umfangreiche Resolution. In über 100 Arbeitsgruppen diskutieren die StudentInnen neue Uni-Konzepte. Wie sich das Ganze weiterentwickelt, kann im Moment niemand abschätzen. Klar ist, das erstmal weitergestreikt wird.“ Daß die Bewegung sich bisher nicht auf andere Unis ausweitete, hängt für die Zentralrats-VertreterInnen mit „Sicherheit auch mit den überregionalen Medien zusammen: Einzig die 'FAZ‘ berichtet kontinuierlich über den Frankfurter Aufbruch - allerdings negativ“.

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