Journalistendramatik

■ Zur deutschen Erstaufführung von Dusty Hughes‘ Zentralamerika-Stück „Das Attentat“ in Wuppertal

Politisches Theater - was ist das? In Deutschland würde diese Frage einen längeren Diskurs über die Dialektik von Inhalt und Form, Produktions- und Rezeptionsästhetik, Zeichen- und Systemtheorie provozieren. In England ist die Antwort einfach: Theater über das, was gerade in der Zeitung steht. Auf den deutschsprachigen Bühnen kommt das Genre des ästhetisch naiven Schnellschuß-Theaters ja fast gar nicht vor. Rolf Hochhuths Trivialtragödie Judith (Schlagzeile: „Giftgasattentat auf US-Präsidenten“) oder Klaus Pohls Finanzfarce Heißes Geld (Schlagzeile: „Bestochener Graf ruiniert Privatbank“) bilden die wenig erfreulichen Ausnahmen. Alle wollen das aktuelle kritische Zeitstück, aber die einheimischen Produkte fallen dann doch immer durch. Also sieht man sich nach frischer Importware um.

Zu Beginn der Spielzeit hat das Kölner Schauspiel mit einem brasilianischen Stück, Nelson Rodriguez‘ Kuß im Rinnstein (Schlagzeile: „Schwuler Schwiegervater erschießt schwulen Schwiegersohn“) einen Treffer in dieser Sparte gelandet. Nun wurde in Wuppertal Dusty Hughes‘ 1987 am Royal Court Theatre in London uraufgeführtes Zentralamerika-Stück „Das Attentat“ (englisch „Jenkin's Ear“) erstaufgeführt. Seine Schagzeile könnte lauten: „Schwester der Barmherzigkeit von Todesschwadron ermordet“. Geschrieben 1986, als eine US -Invasion in Nicaragua erwartet wurde, uraufgeführt kurz nach den internationalen Verhandlungen über ausländische Geiseln in der Hand der Contras, schien es alle Vorteile der Gattung zu haben: Aktualität, Direktheit, Engagement.

Journalistisches Theater - das muß nicht immer, wie „Journalistenpoesie“, ein Schimpfwort sein. Hier heißt es zunächst einmal: Theater über Journalismus. Hauptfigur des Stückes ist Jenkin, ein englischer Journalist, ein erfahrener, integrer Auslandskorrespondent und Veteran der Kriegsberichterstattung, der aus rein privaten Gründen nach einer im Dschungel des Grenzgebiets zwischen Honduras und Nicaragua verschwundenen Entwicklungshelferin sucht. Er hat einen Rivalen: Foster, ein junger, ehrgeiziger, skrupelloser Reporter der 'Times‘. Aus dieser Konstellation ergibt sich schon ein Thema des Stücks: Wie steht es um die Moral der Journalisten?

Dusty Hughes, der Autor, war selbst ein Journalist in Zentralamerika, war Redakteur von 'Time Out‘, dem Londoner Stadtmagazin, weiß also, wovon er schreibt. Und sein ästhetisches Credo hat er bei der Einführungsmatinee in Wuppertal mit journalistischer Knappheit und Einfalt formuliert: „Wenn es sich lohnt, über ein Thema zu schreiben, ist es wichtig, daß die Zuschauer sich nicht langweilen.“ Seine Definition eines „well-made play“ sei nur, daß es die Zuschauer erregen müsse. Recht hat er!

Genau diesem Kriterium genügt das Stück nicht. Es erregt niemanden, es produziert Langeweile. Journalistisches Theater heißt hier nämlich leider auch: Theater ohne glaubwürdige Charaktere. Es treten auf: der faschistische Macho als Innenminister, die drogenabhängige Diplomatentochter, die Ex-Filmschauspielerin als US -Botschafterin, der sandinistische Armenpriester - Klischee -Figuren sagen Leitartikel auf. Gelegentlich wird die Gesinnung zu zitierfähigen Sentenzen verdichtet („Objektivität ist nur ein anderes Wort für moralische Feigheit“). Alle Probleme der zentralamerikanischen Region werden irgendwie erwähnt und sinnreich kommentiert: die Abhängigkeit von den USA, der Antikommunismus, die Dominotheorie, die zwiespältige Rolle der Kirche, die Korruption der einheimischen Elite. Die Krimi-Mechanik, die aus diesem Korrespondenten-Feature einen Polit-Thriller machen sollte, bewegt die Handlung nur mühsam vorwärts. Rückblenden schaffen eher Verwirrung als Spannung. Erst im abschließenden Show-down der beiden Journalisten, dem Streit um ein Fluchtauto, kommt das Stück wirklich in Bewegung.

Raymund Richters Regie hilft dem schwachen Stück auch nicht auf die Beine. Statt die komplizierte Rückblenden-Technik szenisch zu verdeutlichen, werden alle Szenen auf einer Einheitsbühne vermischt. Statt die geschwätzigen Dialoge einzustreichen, werden sie heruntergehaspelt. Die Wuppertaler Bühnen haben derzeit den politisch offensivsten Spielplan aller westdeutschen Stadttheater, und Wuppertal hat eine Städtepartnerschaft mit Matapalpa in Nicaragua: ein wichtiges Thema am richtigen Ort in einem interessanten Theater also. Es hätte alles so gut werden können. Aber ach

-nichts in der Welt ist ohne Einschränkung gut als allein der gute Wille, und moralisch gesehen ist die Inszenierung makellos. Da bleibt nur die Hoffnung, daß in Wuppertal auf die gute Tat nun bald auch das gute Theater folgt.

Gerhard Preußer

Weitere Vorstellungen am 9.und 17.12.

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