Banken pushen Staudammprojekt in Brasilien

Kampagnenstart gegen gigantisches Bauvorhaben kommende Woche / Bundesregierung könnte Zünglein an der Waage sein / Umschuldung des südamerikanischen Landes durch Kofinanzierung an die Staudammfinanzierung gekoppelt / Der Regenwald wird zum Nulltarif verschleudert, um Exportindustrien ansiedeln zu können  ■  Von Gabriela Simon

Es gibt Ereignisse und Gefahren, gegen die vielleicht schon deshalb schwer anzugehen ist, weil sie die Grenzen des Vorstellbaren übersteigen. Der „Plano 2010“, das brasilianische Energieprogramm, gehört mit Sicherheit dazu. Die brasilianische Regierung plant bis zum Jahre 2010 den Bau von 136 Staudämmen. Die 136 Stauseen würden insgesamt 26.000 Quadratkilometer Regenwald überfluten und eine halbe Million Menschen aus ihren Lebensräumen vertreiben. Allein die beiden jetzt am Amazonas-Nebenfluß Xingu geplanten Stauseen beinhalten ein gigantisches Zerstörungswerk: Einer davon wird ein 5.600 Quadratkilometer großes Regenwaldgebiet (mehr als zehnmal so groß wie der Bodensee) überschwemmen und über 9.000 Indianer vertreiben.

Diese beiden Riesenbauten will die Weltbank mit einem 500 -Millionen-Dollar-Kredit mitfinanzieren. Es geht dabei auch um bundesdeutsche Politik - mit ihrem Stimmenanteil von 5,49Prozent in der Weltbank könnte die Bundesregierung gerade bei umstrittenen Projekten die Rolle des Züngleins an der Waage spielen.

„Kostenlose“ Natur

Am 9.November wurde im (Bundestags-)Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit (AWZ) über diesen zweiten Energiesektorkredit der Weltbank für Brasilien diskutiert. Man einigte sich zunächst auf Verzögerung: Der bundesdeutsche Exekutivdirektor in der Weltbank wurde angewiesen, auf eine Verschiebung der Entscheidung über den Kredit hinzuwirken. In der Zwischenzeit soll das Parlament die Möglichkeit haben, über den Kredit zu beraten beziehungsweise einen Beschluß zu fassen. 1986, bei der Entscheidung über den ersten Energiesektorkredit der Weltbank für Brasilien, hatte es einen klaren Beschluß des AWZ gegeben, den Kredit abzulehnen. Die Bundesregierung hatte sich damals jedoch über den Beschluß des AWZ hinweggesetzt und in der Weltbank für den Kredit gestimmt.

Damals wie heute kam der Druck für den Kredit vor allem aus dem Finanzministerium. Für die Finanz- und Geschäftswelt, für Banken und Konzerne geht es bei dem Weltbankkredit um die Absicherung eines für sie äußerst lukrativen „Modells“ von Industrialisierung.

In der Region von Carajas im brasilianischen Amazonasgebiet lagern die größten bekannten Eisenerzvorkommen der Erde. Seit Ende der siebziger Jahre wird die Region für die industrielle Ausbeutung und für den Export erschlossen; bis zu 30 Bergwerke, metallverarbeitende Industrien und Wasserkraftwerke sollen errichtet werden. Ein großer Teil der Investitionen wird mit ausländischen Krediten finanziert; und die Erlöse aus den Exporten werden auf absehbare Zeit in die Zins- und Tilgungszahlungen für die Auslandsschulden fließen.

Um ausländischen Konzernen genügend Investitionsanreize zu bieten, wird die Region reichlich mit billiger Energie versorgt. Den in den Stauseen produzierten Strom beziehen Multis und einheimische Unternehmen zum Billigtarif. So werden energie- und rohstoffintensive Technologien oft erst dadurch rentabel, daß die natürlichen Ressourcen der Regenwälder zu Billigstpreisen oder zum Nulltarif verschleudert werden.

Natürlich ist auch der Bau der Staudämme und Wasserkraftwerke selbst ein hervorragendes Geschäft beispielsweise für die Banken, die hierfür sowie für die nötigen Straßen und Überlandleitungen Kredite zur Verfügung stellen. Die brasilianische Elektrizitätsgesellschaft „Eletrobras“ hat auf diese Weise mehr als zehn Prozent der gesamten Auslandsschulden des Landes verursacht.

Sogar an rein energiewirtschaftlichen Kriterien gemessen, sind die Pläne der brasilianischen Behörden purer Wahnsinn: So soll der Strom aus den beiden Xingu-Stauseen nur noch zu einem Drittel in das Carajas-Projekt fließen. Der größte Teil wird über bis zu 2.600 Kilometer lange Überlandleitungen in die industriellen Zentren des brasilianischen Südostens transportiert werden. Bis heute gibt es keine Erfahrungen darüber, welcher Bruchteil der am Ursprungsort erzeugten Energie über so große Entfernungen hinweg übertragbar ist.

Kreditgewinnler

machen Druck

Die ökologischen Zerstörungen durch die Staudammprojekte, die Vertreibung und existenzielle Gefährdung von Indianervölkern, die Zunahme von Landkonflikten und Gewalt, die mit dem Eindringen dieser Art von „Fortschritt“ einhergeht, hatten schon bei der Vergabe des ersten Energiesektorkredits eine Welle von Protesten ausgelöst. Unter anderem US-Umweltorganisationen, Regenwälder -Initativen, auch in der Bundesrepublik, sowie die Grünen im Bundestag mobilisierten die Öffentlichkeit. Die Weltbank hatte daraufhin die Bewilligung des zweiten Kredits von der Ausarbeitung eines „Umweltgeneralplans“ durch die brasilianischen Behörden abhängig gemacht. Bis heute liegt dieser Plan nur in Bruchstücken vor. Aufgrund des internationalen Drucks hat die Weltbank die Entscheidung über den - ursprünglich schon für 1987 geplanten - zweiten Kredit immer wieder verschoben, ohne jedoch Art und Bestimmung des Kredits grundsätzlich in Frage zu stellen.

Inzwischen scheint man in der Front der Kreditgewinnler ein wirkungsvolles Druckmittel in der Hand zu haben. Das im September von den Banken unterzeichnete Umschuldungsabkommen für 62Milliarden Dollar brasilianischer Auslandsschulden ist nämlich an die Politik der Weltbank gekoppelt: Von den in dem Abkommen vorgesehehen 5,2 Milliarden Dollar Neukrediten sind 3,6 Milliarden als Ko- oder Parallelfinanzierung zu Weltbankkrediten geplant. Wird der zweiten Energiesektorkredit nicht bewilligt, dann ist die Umschuldung und mit ihr die Zahlungsfähigkeit Brasiliens gefährdet.

Dabei könnte die Entscheidung der Weltbank vom Verhalten der Bundesregierung stark beeinflußt werden. Aller Voraussicht nach werden die USA (wie schon beim ersten Kredit) dagegen stimmen und sich damit innenpolitisch den Rücken freihalten - in der Annahme, daß ihre Verbündeten den Kredit durchsetzen werden. Diese Arbeitsteilung hat sich für die USA schon bei einer Reihe von Weltbankkrediten (u.a. den Krediten für Chile) bewährt. Für den brasilianischen Regenwald und seine Bewohner wird es deshalb nicht ganz ohne Bedeutung sein, wie effektiv wir hier Alarm schlagen.

Die Aktionsgemeinschaft Solidarische Welt (ASW) startet in der nächsten Woche eine bundesweite Kampagne gegen den Staudamm. Informationsmaterial über den zweiten Energiesektorkredit und seine Auswirkungen gibt es bei der ASW, Hedemannstraße 14, 1000 Berlin 61. (Gabriela Simon ist Mitarbeiterin der ASW.)