piwik no script img

„Ich bin gerade auf dem Weg zum Anwalt“

Tilman Fichter (51), ehemaliger Berliner SDS-Landesvorsitzender und heute Wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Parteivorstand der SPD, zu seiner jetzt bekanntgewordenen Bespitzelung durch den Berliner Verfassungsschutz  ■ I N T E R V I E W

taz: Der 'Spiegel‘ erwähnt in der jüngsten Ausgabe, daß der Verfassungsschutz auch über dich eine Akte führt. Wußtest du davon?

Tilman Fichter: Sagen wir, ich hatte es vermutet. Ich bin gerade auf dem Weg zu meinem Anwalt, will mit einer einstweiligen Verfügung verhindern, daß diese Akte verschwindet. Außerdem verlange ich Einsicht.

Du bist jetzt SPD-Funktionär beim Parteivorstand; früher, zu APO-Zeiten, warst du im SDS und hattest einiges zu tun mit den Infiltrationsversuchen des Verfassungsschutzes. Damals war es sozusagen ein SPD-Verfassungsschutz...

Der Verfassungsschutz damals war ein Kind des Kalten Krieges; in der Stadt herrschte eine Frontstadtatmosphäre, ein latenter Bürgerkrieg gegen alle Kritik von links. Ich habe 1980 im Zusammenhang mit dem Nixon-Besuch in einem Leserbrief an den Spiegel die Agent-provocateur-Rolle des V -Mannes Peter Urbach im Umfeld des SDS und des Republikanischen Clubs ausgeleuchtet. Ich glaube, daß dieser Brief dem Verfassungsschutz wehgetan hat, und von daher wundert es mich gar nicht, daß über mich ein Vorgang vorliegt. Aber ich bin vor allem an den neuen Akten interessiert, denn zwischen damals und heute gibt es schließlich einige politische Unterschiede.

Nämlich?

Es gibt einerseits sicherlich eine Kontinuität, es gibt aber auch einen Bruch. Die Rahmenbedingungen der Politik haben sich schließlich verändert, der Kalte Krieg ist ausgeklungen, und die alten Kämpfer vom Reichssicherheitshauptamt, die nach '45 beim Verfassungsschutz untergeschlüpft sind, genießen die Pension. Da also die Konstellation sich verändert hat, interessieren mich natürlich die Gründe, was heute den Verfassungsschutz veranlaßt, einen SPD-Funktionär - sagen wir - großflächig zu begleiten.

In derselben 'Spiegel'-Ausgabe wird erwähnt, daß vor allem abtrünnige SPD-Mitglieder (Natusch, Bakker) im VfS mit Nachdruck ehemalige Spitzengenossen beobachten ließen...

Im Streit um die Ostpolitik kann ich mir ein solches Verhalten von Verfassungsschutz-beamten schon erklären. Aber was veranlaßt eine Innenbehörde in den 80er Jahren, den Kalten Krieg wieder neu aufzunehmen? Das wird hoffentlich in den nächsten Wochen herausgefunden werden. Mich interessiert aber auch der Punkt, ob ein CDU-Mann im Verfassungsschutz Unterlagen über kommerzielle Fluchthilfe vernichtet hat. Denn seit Jahren gibt es in der Stadt den Verdacht, daß der Bordell-Besitzer Otto Schwanz und Eberhard Diepgen seit ihrer gemeinsamen Zeit in der Jungen Union in einem Zusammenhang mit dem Komplex kommerzielle Fluchthilfe und organisiertes Verbrechen stehen.

Du hast vieles schon vermutet, die jetzigen Vorwürfe gegen den VfS waren längst schon im Umlauf. Kommt die SPD nicht ein bißchen spät damit heraus?

Auf jeden Fall hat Walter Momper recht, wenn er jetzt endlich draufhaut. Klar ist, daß die Sozialdemokraten vorher sehr viel vorsichtiger mit der Porzellankiste Verfassungsschutz umgegangen sind.

Interview: Klaus Hartung

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen