: Aggression oder Aufklärung?
■ Zu einer wohl notwendigen Entscheidung
Hajo Funke
Auf meine Frage, ob sie auch dann für den Abdruck eines Wortes wie „gaskammervoll“ zur Kennzeichnung einer vollen Disco plädiere, wenn sie (wie ich) erlebte, daß dies unter uns Lebende verletze, antwortete die eine der beiden Gekündigten mit einem klaren Ja. Sonst gäbe es „Schreibverbot“. Und: da könne sonst jede Gruppe kommen, die sich verletzt fühle. Ich habe mich über ihre Sätze gewundert. Vielleicht ist ihr nicht wirklich klar, daß Metaphern, Bilder, Signale Überlebende in einer Unmittelbarkeit in das Grauen zurückversetzen können, die wir uns nicht vorstellen können. Aber ist es nicht gerade Ziel unserer Erinnerung, wenigstens darum zu wissen? Die Sätze, die sie sagte, verraten keinen Antisemitismus, aber doch eine nach wochenlanger Diskussion zur Haltung verhärtete Bereitschaft, für die „Freiheit des Wortes“ um nahezu jeden, auch um den Preis schwerer Kränkung, zu plädieren. Zur antijüdischen Aggression wird ein Verhalten, das solche Kränkungen bewußt als Instrument einsetzt. Ich glaube, das Ganze ist nicht untypisch für einen Stil, der dadurch Aufmerksamkeit erzielen will, daß man entsprechend zynisch daherkommt. Noch die schlechteste Polemik hat ja ihr Publikum. (Ich denke da auch an einen Beitrag des sogenannten „Wortartisten“ (Bröckers) W.Droste vor wenigen Wochen, in dem dieser in verletzender Form das Alter Helmut Gollwitzers anspricht.) Diese zur Technik geronnene Provokationsmanier rechnet zwar auf „Öffentlichkeit“, aber kaum noch auf ihre Funktion als kritisch-aufklärende.
Es wundert mich nicht, daß die angebotenen Erklärungen für solche Provokationstechniken eigentümlich blaß blieben. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß es solcher Technik nicht mehr um sehr viel anderes als um sie (und sich selbst) geht. Um Aufmerksamkeit an sich. Provokation auch um den Preis schwerer persönlicher Kränkung (und um die geht es, wie wir seit den ja auch in dieser Zeitung geführten Debatten um Bitburg und die Faßbinder-Affäre wissen) als „Tabubruch“ und „Mut“ „gegen den Mainstream“ zu beschwören wie dies ein Debattenredner tat -, verkennt das Beliebig -Aggressive daran, den „Verlust an humaner Orientierung“.
Die taz ging diesmal anders mit solcher aggressiven Harmlosigkeit um als sechs Jahre zuvor. Damals druckte sie während des von Sharon entfesselten Libanon-Krieges zahlreiche Leserbriefe ab, in denen Beirut mit Auschwitz gleichgesetzt wird, kritische dagegen kaum: diese hätten in ihren Augen nicht den Punkt getroffen. Die am 3.Dezember mit einer 2/3-Mehrheit gefällte Entscheidung war die erste politische Kündigung in der Geschichte der taz. Weniger als zehn Prozent der Versammelten haben die Position der Gekündigten inhaltlich geteilt. Die Angst des unterlegenen Drittels vor „Zensur“ und „Schreibverbot“ ist jedoch in dem Maße unberechtigt, wie klar wird, daß das „politische Projekt“ taz sich als pluralistisches Projekt provozierender kritischer Aufklärung versteht; und Provokation und Aufklärung nicht auseinanderreißt.
Ohne Verantwortung für die Folgen ihres öffentlichen Handelns, für das, was man schreibt und läßt, wird dabei gerade die „alternative“ taz nicht auskommen können. Dabei ist die (mehrfach in der Versammlung am Samstag betonte) Wirkung auch auf die Leser wichtig, für die ein ohnehin nur scheinbar Geschichte gewordener Nationalsozialismus besonders gegenwärtig bleibt. Und ich jedenfalls wäre an der Leserschaft der wachsenden Zahl von 18-, 20- oder 25jährigen interessiert, die in Geschichtswerkstätten arbeiten oder etwa in der zweiten Novemberwoche in der Berliner Akademie der Künste zu sehen waren und die Erinnerung von der öffentlichen Erinnerungspolitik sehr genau zu unterscheiden wissen.
Wichtiger als die am 3.Dezember gezogene Grenze ist es, den Ursachen solcher Aggressionen einrechnender Gleichgültigkeit nachzugehen. (Wie meinen?? d. S.in) Solange die Selbstaufklärung und Abweisung solcher Aggressivität nicht zum Selbstverständnis der taz gehört, hat sie „ihre“ Debatte noch vor sich. Statt einer „Ästhetik des Grauens“, statt „postmoderner“ Beliebigkeit, geht es viel einfacher darum, daß das, woran Klaus Hartung und viele andere aus der sogenannten „Gedenkarbeiterkolonne“ (Bröckers) in der taz ernsthaft erinnerten, erst einmal gegenwärtig zu halten oder zu allererst gegenwärtig zu machen. Und wenn dies nur darin bestände, ein wenig mehr historische Sensibilität und aufklärende Genauigkeit zu praktizieren.
Wie aktuell das ist, wurde mir deutlich, als nach der eben ausgesprochenen politischen Kündigung mir jemand den Ausschnitt einer Anzeige aus der taz rüberschiebt: „Boykottiert Israel... Strände, Kibbuzim...“ Mit Datum von 30.11. 1988.
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