Steinkühler fordert weitgehenden Schuldenerlaß

Der Präsident des internationalen Metallarbeiterbundes will Gewerkschaften Lateinamerikas beim Kampf um Demokratie unterstützen / Nicht nur deutsche Arbeitsplatzinteressen zählen  ■ I N T E R V I E W

Caracas (taz) - Der am Wochenende neu gewählte Präsident von Venezuela, Carlos Andres Perez, hat in der Woche vor seinem überwältigenden Wahlsieg während einer lateinamerikanischen Regionalkonferenz des Internationalen Metallarbeiterbundes (IMB) in Caracas angekündigt, er wolle sich für ein gemeinsames Vorgehen der hochverschuldeten lateinamerikanischen Länder einsetzen. Das Wort „Schuldnerkartell“ wies er zwar ausdrücklich zurück, aber er will durch einen Zusammenschluß der Schuldnerländer deren Verhandlungsposition gegenüber den internationalen Großbanken, dem IWF und der Weltbank stärken. Die Vereinzelungsstrategie der Gläubigerländer und Großbanken soll auf diese Weise durchbrochen werden.

Unterstützung für eine solche Strategie signalisierte der IG-Metall-Chef Franz Steinkühler, der als Präsident des IMB an der Konferenz teilnahm. Er forderte einen weitgehenden Schuldenerlaß und kündigte an, mehr als bisher den Kampf der lateinamerikanischen Gewerkschaften für Demokratie und soziale Gerechtigkeit zu unterstützen.

Schon im Vorgriff darauf hatten die mit der neuen und alten Regierungspartei sowie der Staatsbürokratie stark verfilzten gastgebenden venezolanischen Gewerkschaften eine Ordensverleihung an den deutschen Spitzengewerkschafter arrangiert. „Wie ein Pfingstochse“ sei er sich vorgekommen, als ihm das sherrifsternartige Gebilde an breiter, gelber Schärpe umgehängt wurde, verriet Ordensmuffel Steinkühler nachher in kleiner Runde.

taz: Sie haben während der Konferenz gesagt, daß Sie Ihre Erfahrungen bedeutend erweitert hätten. Was haben Sie hier gelernt?

Steinkühler: Gewerkschaftsarbeit in Lateinamerika ist nicht vergleichbar mit Gewerkschaftsarbeit bei uns. Der Kampf um Demokratie hat hier einen zentralen Stellenwert im Bewußtsein der meisten Gewerkschafter. Wenn man aus Deutschland kommt, fällt das wirklich ins Auge. Man kann sich kaum vorstellen, unter welchen Lebens- und Arbeitsbedingungen, teilweise unter Einsatz von Leben, in diesen Ländern der Begriff Solidarität ausgefüllt wird. Es ist an der Tagesordnung, daß Gewerkschafter verschwinden, daß sie umgebracht werden. Alles Dinge, die bei uns Gott sei Dank Geschichte sind, die aber deutlich machen sollten, daß diese Geschichte jederzeit wiederkehren kann, wenn man zuläßt, daß demokratisches Bewußtsein einschläft.

Erstmals ist ein IMB-Präsident bei einer Regionalkonferenz des IMB in Lateinamerika gewesen. Was soll damit demonstriert werden?

Lateinamerika wurde viele Jahre völlig zu Unrecht im IMB an den Rand gestellt. Wir müssen viel Kraft investieren, um diesem großen Kontinent aus dem wirtschaftlichen Sumpf zu helfen. Die jeden Tag größer werdenden wirtschaftlichen Nöte beschwören die Gefahr herauf, daß die Militärs wieder putschen. Europa muß ein Interesse daran haben, den Einsatz von Arbeitnehmern für Demokratie, der teilweise mit Blut bezahlt worden ist, nicht nachträglich ad absurdum zu führen. Ein Bund wie der IMB ist gehalten, die größte Hilfe und den größten Einsatz dort zu leisten, wo es am nötigsten ist. Das ist in Lateinamerika und in Südafrika.

Es gibt in Südamerika, auch innerhalb des IMB, Gewerkschaften, die authentische Gewerkschaftsarbeit leisten, aber auch solche, die stark mit der Staatsbürokratie und der herrschenden Klasse verfilzt sind. Wie agiert der IMB in diesem Gestrüpp unterschiedlicher politischer und sozialer Interessen?

Die Verwaltungskorruption, die - ich sag das sehr vorsichtig - nicht überall nur auf die Verwaltung beschränkt war und ist, war bisher für den IMB ein Grund, sich hier ein bißchen herauszuhalten. Diese Konferenz hat gezeigt, daß einige Gewerkschaften selbst erkennen, daß ihre Zersplitterung und ihr teilweises Eingebundensein in Parteien ihre Handlungsfähigkeit beschränkt.

Sie haben von der Verpflichtung für die Gewerkschaften der Industrienationen gesprochen, zu helfen, wo man kann. Was bedeutet das konkret?

Konkrete Hilfe erstreckt sich zunächst auf die kleinen alltäglichen Unterstützungen: daß man Seminare abhält, daß man Materialien erstellt, daß man auch Delegationsaustausch macht. Aber es beinhaltet auch, daß wir die Diskussion über die Verschuldungsproblematik nicht allein den Banken überlassen.

Was ist Ihre Forderung?

Jene Schulden der Dritten Welt, die aufgrund der gesetzlich vorgeschriebenen Rückstellungen der Banken praktisch bereits durch den deutschen Steuerzahler bezahlt sind, sollten tatsächlich gestrichen und erlassen werden. Dies würde die Tilgungslast wesentlich, teilweise bis zu 90 Prozent, mildern. Dies würde auch ermöglichen, Umschuldungsprogramme zu machen, die eine längerfristige Atempause als Voraussetzung zur Strukturhilfe einleiten könnten. Daß die Länder der Dritten Welt mit ihrer unbeschreiblichen Armut inzwischen zum Nettokapitalexporteur geworden sind, müßte eigentlich auch dem abgebrühtesten Großbankier ein schlechtes Gewissen einjagen.

Sie haben gesagt, nicht jeder Arbeitsplatz müsse in Europa geschaffen und nicht jeder Arbeitplatz in der Dritten Welt abgebaut werden. Welche Konsequenzen hat das für die Politik der IG Metall?

Wenn man akzeptiert, daß es eine internationale Arbeitsteilung geben kann, muß man auch eine internationale Arbeitsplatzteilung akzeptieren. Lateinamerika kann nur dadurch aus wirtschaftlicher Not kommen, daß es in die Lage versetzt wird, seinen Binnenbedarf selbst zu decken und damit auch Exporteur zu werden. Das bedeutet dann in der Tat, daß nicht alle Arbeitsplätze in den hochindustrialisierten Ländern zuwachsen können. Deswegen muß aber bei uns nicht in gleichem Umfang auf Arbeitsplätze verzichtet werden. Lateinamerika hat eine unendlich große unbefriedigte Binnennachfrage. Eine Hilfe, die dem Aufbau einer Industrie zur Befriedigung dieser Binnennachfrage dient, schafft auch Arbeitsplätze bei den Zulieferern und Ausrüstern in Europa. Wir müssen eine Struktur akzeptieren, die nicht allein den Exportinteressen der deutschen Industrie dient. Bei den derzeitigen Ungleichgewichten in den Handelsbilanzen bedeutet Export immer auch Export von Arbeitslosigkeit.

Ist der IG-Metall-Vorsitzende dem Daimler-Arbeitsplatz in Sao Bernardo genauso verpflichtet wie dem Arbeitsplatz in Untertürkheim?

Nein, der IG-Metall-Vorsitzende ist natürlich zu allererst seinen Mitgliedern und ihren Arbeitsplätzen von Daimler Benz in Untertürkheim und Sindelfingen, ihren Arbeitsplätzen im Stahlwerk Rheinhausen verpflichtet. Aber die IG Metall hat in ihrem Programm internationale Solidarität stehen. Und das muß praktische Konsequenzen nicht für Sonntagsreden, sondern für die Arbeit von Montag bis Freitag haben. Bei unserem eigenen Verhalten dürfen die Folgen für andere, für die Kollegen in Lateinamerika, nicht außen vor bleiben.

Bei den Multis gibt es inzwischen eine gegenseitige Abhängigkeit zwischen den Kollegen in Deutschland und der Dritten Welt. Werden Sie in Zukunft mehr direkte Kontakte zwischen den Gewerkschaftern auf Konzernebene organisieren?

Wir fangen das jetzt an, allerdings erstmal auf europäischer Ebene. Zu mehr reichen unsere Kräfte im Augenblick nicht. Unser Ziel muß sein, über Vermittlung des IMB Voraussetzungen für eine Kooperation der Arbeitnehmer in normalen Zeiten zu schaffen. Wenn Arbeitskämpfe stattfinden, finden diese Kooperationen sowieso statt, nur dann unter wesentlich ungünstigeren Voraussetzungen. In der Regel können wir dann außer Solidaritätsadressen nichts kurzfristig Wirksames tun.

Das Gespräch führte Martin Kempe