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Chemische Keule trifft Filmbesucher

Statt Übergriffe von jugendlichen Neonazis zu verhindern, setzt Polizei in Hannover Tränengas gegen die Angegriffenen ein  ■  Aus Hannover Jürgen Voges

Bei einem Einsatz, der eigentlich dem Schutz einer Videoveranstaltung vor Übergriffen von einigen jungen Neonazis dienen sollte, haben hannoversche Polizisten zahlreiche Besucher der Veranstaltung mit der „Chemischen Keule“ verletzt. Besucher, die in der hannoverschen „Medienwerkstatt“ den Film Skins und Neofaschismus ansehen wollten, berichteten gestern, bei ihrer Ankunft habe ein Streifenpolizist mit gezogener Pistole auf der Straße gestanden und alle etwa 20 Anwesenden aufgefordert, sich an eine Hauswand zu stellen. Als man den Polizisten aufgefordert habe, die Waffe wieder einzustecken, hätten andere Beamte die Chemische Keule, zum Teil aus kürzester Entfernung, gegen die Besucher eingesetzt.

Nach Angaben der „Medienwerkstatt“ war die Polizei von einem Nachbarn alarmiert worden, weil drei jugendliche Neonazis zuvor gedroht hatten, Steine in die Fenster der Medienwerkstatt zu schmeißen. Den drei Jugendlichen war vor Beginn der Videoveranstaltung Hausverbot erteilt worden, weil sie durch laute antisemitische und neonazistische Sprüche aufgefallen waren. Die später hinzugekommenen Besucher, die durch Tränengas verletzt worden waren, sahen sich gestern als Opfer eines üblen Mißverständnisses. „Die Polizei hat offensichtlich geglaubt, die antrudelnden Leute wollten die Medienwerkstatt stürmen“, sagte einer von ihnen gegenüber der taz.

Die hannoversche Polizeidirektion rechtfertigte den Einsatz, an dem zum Schluß etwa 40 Beamte beteiligt waren, damit, daß man die jugendlichen Skinheads vor einer angeblich mit Schlagwerkzeug ausgerüsteten schwarz gekleideten Menge habe schützen müssen. Dabei sei es zu einem heftigen Handgemenge und schließlich zu dem Tränengas -Einsatz gekommen. Die Besucher bestreiten allerdings, die Neonazis angegriffen zu haben.

Im Zuge der gesamten Auseinandersetzung nahm die Polizei schließlich vier der Besucher der Medienwerkstatt vorläufig fest. Einer von ihnen erklärte später, ihm sei auf der Polizeiwache mehrfach ins Gesicht geschlagen worden.

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