NUR EIN PROFESSORENTRAUM?

 ■ Gastkolumne von Peter Grottian

Wie – HochschullehrerInnen legen die Arbeit nieder...?

16. Dezember 1988. Über 150 HochschullehrerInnen sind versammelt, um über die Lage an den Berliner Hochschulen zu beraten. Mit überwältigender Mehrheit begrüßen sie nicht nur die Streik- und Besetzungsaktionen sowie den größeren Teil der Forderungen von studentischer Seite, sondern formulieren ihre eigenen Anliegen für eine demokratischere Universität, eine größere Autonomie der Hochschule und die Verbesserungen ihrer eigenen Forschungs- und Lehrbedingungen. Sie kündigen an – eine Sensation für HochschullehrerInnen – ihre Arbeit niederzulegen, um damit

–ihre programmatischen Forderungen mit einer kalkulierten Regelverletzung zu unterstreichen;

–ein solidarisierendes Zeichen gegenüber den StudentInnen zu setzen, um mögliche Gemeinsamkeiten in der Auseinandersetzung zu entwickeln;

–dem Senator zu signalisieren, daß die von den StudentInnen beklagten Mißstände auch zum Teil für sie selbst scharf zu kritisierende Forschungs- und Lehrbedingungen bedeuten.

Könnten wir uns denn eine solche Versammlung von Hochschullehrern – mit diesem Ergebnis – vorstellen? Wohl noch nicht. Hochschullehrer haben in der Regel einen Werdegang hinter sich, wo der aufrechte Gang und die Couragiertheit wenig eingeübt ist, das Fußnoten-gewitzte Abwägungsritual und die unbarmherzige Reputationslogik regiert. Im Schreiben und in ihren Seminaren äußern sie sich zuweilen sogar radikal – aber wenn sie persönlich und politisch etwas riskieren sollen, dann ist alle Radikalität bald am Ende. So war es kein Zufall, daß sich die HochschullehrerInnen in aller Regel nicht gegen die Berufsverbote zur Wehr setzten, die Funktionalisierung und Verbürokratisierung der Universität zuließen, die Politik des „weichen Sumpfs“ mit StudentInnen betreiben, an keinem Streik für Arbeitslose teilnehmen wollten. HochschullehrerInnen haben die Hochschule nicht mehr als wichtigen politischen Ort gesehen.

Aber betreiben wir keine demotivierende Kollegenschelte sagen wir nur, daß die Hochschullehrer sich, wenn überhaupt, außerhalb der Hochschule, wie StudentInnen auch, politisch engagiert haben: im Hausbesetzer-Konflikt, in Selbsthilfe-, Frauen- und Alternativ-Projekten, in gewerkschaftlicher Arbeit, in der Friedens- und Ökologiebewegung. Es sollte uns HochschullehrerInnen zu denken geben, daß die StudentInnen jetzt mit relativ pragmatischen Forderungen den politischen Ort Universität wiedergewinnen wollen – und es als Zumutung empfinden, von HochschullehrerInnen viel erwarten zu sollen. Sie nehmen die „Belobigungen“ der DozentInnen zur Kenntnis, aber sie fordern nichts von den HochschullehrerInnen und MitarbeiterInnen. An manchen Instituten gibt es sogar bewußte Kommunikationsbarrieren.

Soll der Streik der StudentInnen einen längeren Atem haben und nicht wie in Niedersachsen nach der Erfüllung einiger läppischer Forderungen alsbald zusammenbrechen, dann müßten StudentInnen und HochschullehrerInnen – trotz aller unterschiedlicher Interessenslagen – sich wechselseitig in die Auseinandersetzung verwickeln. Vor allem wären jetzt die HochschullehrerInnen und MitarbeiterInnen am Zuge, jenseits von freundlichen Solidaritätsadressen ihre eigenen Forderungen fachbereichsweise zu formulieren und darüber zu streiten, ob das Mittel der Arbeitsniederlegung unverzichtbar ist. Es wäre hoch an der Zeit, daß

–DozentInnen an ihren Fachbereichen und Instituten Vollversammlungen initiieren und sich politisch verhalten;

–aus diesen VVs DozentInnen hervorgehen, die mit StudentInnen der einzelnen Fachbereiche und universitätsübergreifend gemeinsam mögliche Aktivitäten entwickeln;

–aus diesen Aktivitäten kurz- und längerfristige Zielvorstellungen entstehen, die StudentInnen und DozentInnen einem qualitativ anderen Diskurs aussetzen (vgl. die Themen der autonomen Seminare) und bestimmte Forderungen politisch verhandlungsfähig machen.

HochschullehrerInnen haben seit Jahren gejammert, die StudentInnen seien unpolitisch – jetzt, wo sie sich politisiert haben, können wir nicht mit staatserhaltenden Gesten und folgenlosen Solidaritätsbekundungen reagieren. Wir müßten uns mit den Studenten verwickeln wollen – mit unseren Forderungen, mit Arbeitsniederlegungen und dem tolerablen Disziplinarverfahren. So könnte mehr entstehen als der gegenwärtige Hauch von Utopie.

(Peter Grottian ist Professor am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität.)