KOMMENTAR
: Schweigegeld

■ 700.000 Mark Prämie vom Berliner Verfassungsschutz

Der Berliner Verfassungsschutz zahlt unter dem Haushaltstitel „besondere Aufwendungen“ Schweigegelder. Mafiose Strukturen also als anerkannter Bestandteil des Sonderstatus von Berlin? Daß der Verfassungsschutz sich immer und mit großer Energie Zugang zu den rechtsfreien Räumen dieser Gellschaft verschaffte, ist aus der Ära des SPD-Senators Neubauer sattsam bekannt. Aber das Auszahlen von Schweigegeldern aus Steuermitteln, von Schutzgeldern für den eigenen Bestand, das macht die Politiker zu Komplizen einer kriminellen Vereinigung: das ist die gegenseitige Durchdringung von öffentlichen und privaten Interessen mit eigener Sanktionsgewalt. Mafiose Strukturen also.

In einer normalen Konstellation wäre es das einfachste auf der Welt, daß nach einem Regierungswechsel ein Innensenator genüßlich die Machenschaften seines Vorgängers von der Opposition vorführt. Aber alles, was mit dem seit vierzehn Jahren auch nach drei Gerichtsdurchläufen ungeklärten Mord an dem Studenten Schmücker zusammenhängt, sprengt längst den Rahmen der Normalität. In insgesamt 500 Verhandlungstagen kamen die Richter zwar jeweils zu Schuldsprüchen für die Angeklagten, die sie wegen Mord an ihrem ehemaligen „Genossen“ Schmücker verurteilten.

Mit jedem Verhandlungstag wurde aber deutlicher, wie sehr der Verfassungsschutz in den Mordfall verwickelt ist und wie heftig deshalb Generationen von Innensenatoren eine Aufdeckung des tatsächlichen Geschehens so beharrlich behindert haben, als stünde der Sturz des gesamten Staatssystems bevor. Jetzt hat der „Fall Schmücker“ die Behörden eingeholt, die ihn einst angerührt hatten. Seit den gestrigen Erkenntnissen ist der Fall Schmücker von der Staatsschutz- zur Berliner Staatsaffäre avanciert, zu einer Affäre, in der – wie im besten Mafia-Thriller – einige zu viel wußten und einige zu viel zu verlieren hatten.

Es gehört zu einer der vielen merkwürdigen Interessensverquickungen im Fall Schmücker, daß jetzt ausgerechnet ein CDU-Senat am heftigsten das deckt, was in den 70er Jahren die SPD verbrochen hat. Das Bindeglied zwischen den SPD-Vertuschungsmanövern von einst und dem eisigen, jetzt auch noch mit Geld erkauften Schweigen der CDU von heute ist nicht die abstrakte Staatsräson und nicht das beidseitige Festhalten an der Institution Verfassungsschutz. Das Bindeglied ist Kewenigs Staatssekretär Müllenbrock, der eigentliche Macher im Innensenat, der jetzt als Nachfolger seines absturzgefährdeten Dienstherrn im Gespräch ist. Als ehemaliger Staatsanwalt im Schmücker-Prozeß hat Müllenbrock zusammen mit seinem Kompagnon, dem einstigen Vize-Chef des Verfassungsschutzes, im Mordfall Schmücker nicht korrekt ermittelt oder ermitteln wollen. In wenigen Verhandlungstagen schloß er im ersten Schmücker-Verfahren ab, was heute nach mehrjährigen Prozessen immer noch nicht geklärt ist.

Dieser Staatssekretär, der damals entweder vertuschen wollte oder nur nicht richtig hinsehen mochte, ist heute auf dem besten Weg, mit der Schmücker-Geschichte den gesamten Senat zu infizieren, indem er sie zum wichtigsten Geheimnis der Innenbehörde macht. Müllenbrock als künftiger Innensenator macht nicht nur die mafiosen Strukturen in Berlin offiziell. Er schafft auch jene spezifische Berliner Omerta, einen Erpressungszusammenhang zu verschweigen, wobei das Verschwiegene zugleich das öffentliche Geheimnis ist.

Vera Gaserow