Schweigegeld für Berliner V-Mann

Ehemaliger V-Mann in Sachen Schmücker soll 700.000 Mark aus dem Verfassungsschutzetat bekommen haben / Schweigegeld für die Verwicklung des Berliner Verfassungsschutzes in den Schmücker-Mord und die Rettung für Kewenigs Staatssekretär Müllenbrock?  ■  Von Vera Gaserow

Berlin (taz) - Der Berliner Verfassungsschutz hat offenbar in jüngster Zeit runde 700.000 Mark an einen ehemaligen V -Mann gezahlt, der unter dem Verdacht steht, in den Fememord an dem Berliner Studenten Ulrich Schmücker im Juni 1974 verwikkelt zu sein. In einem gestern abend im Spiegel-TV gesendeten Fernsehbericht bestätigte der Vorsitzende des Innenausschusses des Berliner Abgeordnetenhauses, Helmut Hildebrandt (SPD), daß eine entsprechende Summe an einen gewissen Volker von Weingraber gezahlt wurde, der inzwischen unter falschem Namen in Italien leben soll. Ausschußvorsitzender Hildebrandt wörtlich: „Ich bin mir sicher, daß eine sehr hohe Summe gezahlt worden ist.“ Noch nie sei „eine solche Summe in der Bundesrepublik bezahlt worden. Hier entsteht der Eindruck, daß das Landesamt für Verfassungsschutz noch immer eigentlich erpreßbar ist und solche Summen zahlen muß, um bestimmte Dinge nicht an die Oberfläche kommen zu lassen“. Indirekt bestätigt wurden diese Informationen gestern durch die Aussagen vom Pressesprecher des Innensenats, Birkenbeul. Birkenbeul wollte weder bestätigen noch dementieren, daß es sich bei den 700.000 Mark, auf die die Parlamentier offenbar bei der Durchsicht des geheimen Verfassungsschutz-Etats gestoßen waren, um ein „Schweigegeld“ handelt. Statt dessen warf er dem SPD-Politiker Hildebrandt vor, Einzelheiten aus geheimen Sitzungen des Innenausschusses nach außen getragen zu haben. Auch Springers sonst eher Kewenig-freundliche 'Berliner Morgenpost‘ bestätigte unter Berufung auf „sichere Quellen“ die Zahlung aus dem Portemonnaie des Verfassungsschutzes. Die 700.000 Mark seien jedoch nicht an eine einzelne Person geflossen, sondern unter mehreren Beteiligten aufgeteilt worden. Berlins Verfassungsschutz steht mit diesen Vorwürfen nicht nur in dem Verdacht, sich von einem ehemaligen V-Mann in Millionenhöhe erpressen zu lassen. Er rückt damit auch in die unmittelbare Nähe eines bislang ungeklärten Mordes. Jener Volker von Weingraber nämlich, von dem sich der VS jetzt offenbar Stillschweigen erkaufen wollte, stand in enger Verbindung zu dem Berliner Studenten Ulrich Schmücker, der kurz nachdem er innerhalb der linken Szene als V-Mann aufgeflogen war, 1974 ermordet wurde. Weingraber, so hatte der 'Spiegel‘ 1986 berichtet, habe als V-Mann davon gewußt, daß ehemalige politische Mitstreiter von Schmücker dessen Erschießung planten. Er habe den vermeintlichen Mördern Schmückers am Tattag sein Auto geliehen und unmittelbar nach der Erschießung Schmückers im Berliner Grunewald die Tatwaffe entgegengenommen. Noch in derselben Nacht habe er die Pistole seinem V-Mann-Führer, dem Verfassungsschutzbeamten Grünhagen, übergeben. Weingraber selbst war kurze Zeit nach der Tat mit falschen Papieren untergetaucht und galt bei der Polizei als unauffindbar. Der jetzt für sein

Schweigen reichlich honorierte ehemalige Weingraber hatte einen Monat später schriftlich dementiert, jemals V-Mann gewesen zu sein. Er habe auch niemals dem Verfassungsschutz eine Schußwaffe übergeben. Der Innensenat solle, um eine Gefährdung seiner Person zu vermeiden, die Sache klarstellen.

Doch bis heute verweigern Kewenig und seine Beamten jegliche Auskunft über die Verflechtungen in den Mordfall Schmücker. Unwidersprochen nahmen sie dabei sogar den Vorwurf in Kauf, die Tatwaffe beiseite geschafft zu haben. Statt eines Dementis zur Ehrenrettung ihres V-Mannes schickten sie ihm offenbar die 700.000 Mark in die Toscana.

Auf den ersten Blick mag unklar erscheinen, warum CDU -Innensenator Kewenig so hartnäckig bemüht ist, die Schmücker- Vorgänge unter der Decke zu halten, die gar nicht seine Partei, sondern SPD-Senatoren während ihrer Regierungszeit zu verantworten haben. Auf den zweiten Blick wird jedoch deutlich, daß es bei dieser bewußten Geheimniskrämerei nicht nur um die Ehrenrettung der Institution Verfassungsschutz geht, sondern um ganz persönliche Interessen. Angst vor den möglichen Enthüllungen eines V-Mannes Weingraber müßte nämlich vor allem Kewenigs rechteste Hand, Staatssekretär Müllenbrock haben. Müllenbrock war zusammen mit dem jüngst über eine Begünstigungsaffäre gestolperten Vize-Präsidenten des Berliner Verfassungsschutzes, Przytarsky, Mitte der 70er Jahre als Staatsanwalt für die Aufklärung des Mordes an dem Studenten Schmücker zuständig. Als die beiden inzwischen in die Senatsbürokratie aufgestiegenen Chef-Ermittler nach der Spiegel-Veröffentlichungen zum Vorwurf der Strafvereitelung und des Meineides vernommen werden sollten, ersparte ihr Dienstherr Kewenig ihnen die brisante Befragung: er erteilte ihnen keine Aussagegenehmigung.