Rad-Geburtstag en famille

■ Bremer Fahrradmanufaktur feierte ihr Einjähriges / „Plansoll übererfüllt“ Aber: Verluste in der Bilanz, weil sich die Schrauben selbstverwaltet langsamer drehen

Ein bißchen war es wie bei den Kapitalisten: Zu seinem einjährigen Jubiläum hatte das Unternehmen Aktionäre und Kunden in seiner Geschäftsetage ans kalte Buf

fet geladen. In Vergangenheit und Zukunft schweifte der Blick - oder aus dem Fenster: über die stillgelegte AG Weser -Werft, über die Lagerschuppen am Neustädter Hafen bis zu den Türmen des Städtchens Delmenhorst. Auch an dunklen Dezembersonntagen kann die Sicht gut sein.

So auch die Sicht der FahrradmanufakteurInnen in die kommende Saison: 6.000 Räder seien schon bestellt, sagte Achim Dziwisch, Fahrradbauer und Geschäftsführer in einer Person. In schmucker Lederweste stand er auf einem Stuhl in der geräumigen Werkstatt und berichtete, daß die Manufaktur im vergangenen Jahr ihr „Plansoll übererfüllt“ habe. Statt der anvisierten 3.000 Räder habe die Manufaktur mehr als 4.200 hergestellt. Im kommenden Jahr werde es deswegen auch mehr Arbeitsplätze geben, nämlich 18. Mit fünf Leuten hatte die Manufaktur im Dezember 1987 angefangen. Mehr Geschäft bedeutet für die Manufaktur aber auch mehr Kapitalbedarf. Der Betrieb verhandelt mit der Sparkasse, bei dem er schon mit 100.000 Mark in der Kreide steht. Lieber, so Achim Dziwisch von seinem Stuhl herunter, seien der Manufaktur „Soli-Gelder“. Die Gäste waren also aufgefordert zu spenden oder stille GesellschafterInnen zu werden.

Die meisten Sonntags-Gäste waren Kunden und Anteilseigner in einem: Nämlich Leute aus den selbstverwalteten Fahrradläden der BRD. Aus dem Ruhrgebiet, aus Berlin, sogar aus dem fernen München waren sie angereist. Sie verkaufen die Räder der Bremer Manufaktur und haben auch ihren Teil zum Startkapital der Manu

faktur beigesteuert. Jetzt standen sie um die beiden neuen Modelle herum und ließen sich technische Details versimpeln. Ein Geländerad (All-Terrain-Bike) und ein Tourenrad wird die Manufaktur neu auf den Markt bringen (vgl taz vom 12.11.).

Richtig wie bei den Kapitalisten war es dann doch nicht: Denn über die Bilanz wurde nicht gesprochen, oder allenfalls nur unter der Hand. Verlust und Gewinn werden erst im Januar ermittelt. Trotz guter Auslastung rechnen die FahrradbauerInnen mit rund 20.000 Mark Miesen. Für einen neu gegründeten Betrieb noch lange kein Beinbruch. Ihr Problem: Sie schrauben die Räder zu langsam zusammen. Statt der geplanten sieben schaffen sie nur vier oder fünf pro Tag und MonteurIn. In traditionellen Betrieben werden dagegen bis zu 15 gefertigt - an Montagebändern. In der Manufaktur dagegen baut jede ArbeiterIn ihr Fahrrad an einem Ständer komplett fertig. Außer

dem gab es bisher eine rasche Rotation zwischen Betrieb und Büro. „Das kommt uns teuer zu stehen, weil die Leute sich nicht gründlich einarbeiten können“, sagte einer der Manufakteure. In den nächsten Monaten wird in der Manufaktur deshalb diskutiert werden, wovon auch andere selbstverwaltete Betriebe ein Klagelied singen können: Rationalisieren, ohne die Freude an der Arbeit zu verderben.

Während die Bremer Manufaktur aufblühte, gingen die Kalkhoff-Fahrradwerke im nahen Cloppenburg zum zweiten Mal pleite. Die alten Gebrüder Kalkhoff, die an ihrem lieblosen Billigrad-Konzept gescheitert waren, standen lächelnd unter den dynamiaschen ProduzentInnen der gehobenen Fahrradklasse. „Unsere Enkel richtens besser aus“, mögen sie gedacht haben. Ihr Sohn Manfred arbeitet in der „Speiche“, einem selbstverwalteten Fahrradladen in Oldenburg.

Michael Weisfeld