NS-Akten zum zweiten Mal gestohlen

Dritter Prozeßtag im Verfahren um das Berlin Document Center / Aussage des amtierenden Direktors Daniel B.Simon / Informationen über Diebstähle und Handel mit Unterlagen brachten keine Änderung der Zustände  ■  Aus Berlin Klaus Hartung

Eine denkwürdige Aussage machte am dritten Prozeßtag des Document-Center-Prozesses der amtierende Direktor, Daniel B. Simon. Er bestätigte auf frappierende Weise die Behauptung, wonach es leichter war, Akten aus dem BDC zu stehlen, als im BDC mit ihnen zu forschen. 1982 erhielt Simon durch einen Briefwechsel mit dem Bundesarchiv Koblenz davon Kenntnis, daß BDC-Akten im Umlauf seien: 22 Blatt. Simon und seine Stellvertreter Burchartzs und Eberhard (beide unter Verdacht, gegen den letzteren wird inzwischen ermittelt), prüften. Die Prüfung erbrachte, daß drei Akten von den 22 bislang noch nie von Benutzern angefordert worden waren. Statt nun auf eine Insiderarbeit zu schließen und alarmiert zu sein, war der Direktor bis Anfang '88 (!) davon überzeugt, daß die Benutzer sie in den Handel gebracht hatten. Gleichzeitig erzählte aber Simon, daß er seit '82 „ständig“ Nachrichten von Diebstählen und Handel mit Dokumenten aus dem BDC bekommen habe. Aber an der Kontrolle und dem Verdacht änderte sich überhaupt nichts.

Duch die präzisen und geschickten Fragen des Vorsitzenden Richters Basdorf kamen noch erstaunlichere Dinge heraus: 1985 wird ein „Stapel von Dokumenten“ dem Direktor übergeben. Sein Stellvertreter Burchartz soll überprüfen, Simon verreist auf längere Zeit in die USA. Der Vorgang wird vergessen. Im November '88 entdeckt man bei der Erneuerung der Büromöbel in einem Schreibtisch Akten aus jenem Stapel. Bei der Abgleichung dieser Akten mit den mikroverfilmten Beständen ergibt sich: die schon einmal gestohlenen und inzwischen zurückerstatteten Akten fehlen wieder.

Andere Merkwürdigkeiten: Abschiedsbriefe von Göring aus dem Tresor von Simon werden in den normalen Geschäftsgang gegeben, um sie zu kopieren. Warum also sind sie dann noch im Tresor? Die Aussage von Simon erlaubt inzwischen offenbar jeden Verdacht, auch die Behauptung wird kolportiert, daß er selbst jede Menge Akten in den Handel gebracht habe. „Nonsens!“, sagt dazu Simon. Weiterhin: Nicht nur kurz vor Prozeßbeginn werden jene Akten im BDC-Sperrmüll entdeckt, sondern es wird auch eine Reportliste des hauptbelasteten Afrikaners Darko gefunden. In ihr werden Fotorepros hoher SS -Offiziere aufgeführt.

Außerdem liegt plötzlich eine Aussage vor, wonach derselbe Darko im sogenannten SS-Raum, den er nicht betreten durfte, gesehen worden sei. Der Eindruck entsteht, daß an diesem Prozeß viele die Fäden ziehen. Simons Aussage jedenfalls klärt nichts: Unfähiger Direktor? Chaotische Behörde? Das Roulette der Verdächtigen geht weiter. Hinter den Nebeln des Prozesses wabern noch ganz andere Schatten: Einer der Angeklagten, der kleine Trödler Henri Berger, stimmt in der Prozeßpause zu, daß vor 1978 die großen Massen an Akten herausgegangen seien. „Wir sind viel zu spät eingestiegen.“