Laster-Parkplatz Friesenstraße

■ Anwohnerversammlung diskutierte über Drogenstrich, Punk-Projekt und Nachbarschaft / „Es muß hier auch möglich sein, ein normales Leben zu führen“ / Keine Mehrheit gegen neue Selbsthilfeprojekte / Ortsamtsleiter Heck: „Punks essen keine Kinder“

Friesenstraße - das ist doch der dunkle Straßenstrich, an dem jeden Abend die Freier in Opel-Rekord und Ford-Fiesta mit den Umland-Kennzeichen OHZ, VER, DEL und DH vorbeischleichen. Das ist die Ecke direkt gegenüber des städtischen Puffs, an der drogenabhängige junge Frauen mit dick geschwollenen blauen Augen von ihren Zuhältern auf den naßkalten Bürgersteig abgeladen werden. Das sind Spritzen und Präservative, die am nächsten Morgen vom Nachtleben auf dem Spielplatz zeugen. Friesenstraße, das sind die dicken Laster der Spedition Burwitz, die den Keller-Küchen der Bremer Häuser Licht und Luft nehmen. Und schließlich wohnen in der Friesenstraße auch BremerInnen, die sie zärtlich „Viertel“ nennen. Über 100 von ihnen drängten sich am Mittwoch abend im „Spielsaal“ des Friesenstraßen -Freizeitheims zur Anwohnerversammlung.

Mit dem Kampfruf „Jetzt wollen wir es wissen“, hatte eine „Anwohnerinitiative“ die Nachbarn eingeladen. Gerüchte über ein „Drogencafe“, ein Punker-Haus und andere Projekte in der Friesenstraße hatten sie aufgeschreckt. „Meine Tochter wird jetzt elf, die kommt in die Pubertät. Viele Leute fragen sich, ob sie wegziehen sollen“, schilderte eine Friesenstraßen-Anwohnerin ihre Sorge. Und eine Nachbarin mit drei Kindern aus dem Fesenfeld ergänzte: „Ich habe Angst, nachts vor die Tür zu gehen. Wir sind vor sieben Jahren hierhergezogen, weil das ein lebendiges Viertel ist. Aber jetzt werden wir hier vertrieben.“

Zwar gab es zunächst viel Ap

plaus, doch die ersten RednerInnen nach den vorbereiteten Betroffenen-Berichten kippten die Stimmung. „Ich wohne seit 22 Jahren im Viertel“ berichtete eine Mutter dreier Kinder aus der Vagtstraße, „Angst habe ich hier nie gehabt. In Schwachhausen fühle ich mich nachts bedroht, aber hier bin ich noch nie angequatscht worden. Ich finde das Viertel immernoch sehr schön.“ Und ein junger Mann aus der Friesenstraße rügte die „neue Mütterlichkeit“ der Eingangs -Statements: „Erst habt Ihr hier das Leben gesucht, jetzt habt Ihr Kinder und wollt Eure Ruhe.“ Und ein anderer: „Wenn man hierher gezogen ist, dann kann man nicht plötzlich eine 180-Grad-Wende machen.“

„Niemand will ein

Schickeria-Viertel“

Doch die Nachbarn hörten sich aufmerksam zu und demonstrierten Verständnis für die Sorgen der anderen. Niemand forderte „Drogenabhängige und Prostituierte raus“, und niemand leugnete, daß die Probleme in den letzten zwei Jahren stark zugenommen haben. „Hier will niemand ein Schickeria-Viertel, aber es muß auch möglich sein, ein normales Leben zu führen“, faßte eine Friesenstraßen -Bewohnerin zusammen.

„Punks essen keine Kinder“, provozierte Ortsamtsleiter „Hucky“ Heck die verschreckten AnwohnerInnen, als er nach einer guten Stunde zum ersten Mal zu Wort kam. Das „Punker -Haus“ sei ein Projekt der Kinderinitiative „Klick“, in dem „langzeitarbeitslose Jugendliche unter Aufsicht malochen“, ein Haus reno

vieren, das nach Fertigstellung in Form von Sozialwohnungen vermietet werden soll. „Einige der Jugendlichen haben vielleicht grüne Haare“, ergänzte Heck.

Das angebliche „Drogencafe“ sei tatsächlich eine Selbsthilfe-Beratungsstelle für drogenabhängige Prostituierte, denen in der kalten Nacht ein Dach über dem Kopf, eine Tasse Kaffee und Hilfe geboten werden soll, wenn sie sich entschließen, von Strich und

Nadel mit einer Therapie loszukommen. „Diese Mädchen, die da stehen, sind Menschen wie Sie und ich, das können auch mal ihre Töchter sein“, warb Heck bei den Nachbarn um Verständnis.

Und gegen das Argument, eine solche Beratungsstelle legalisiere den Straßenstrich und zöge damit neue Prostituierte an, erwiderte er: „Ich würde lieber die Freier als die Mädchen verjagen.“ Aber schließlich sei es ja nicht verbo

ten, im Auto herumzufahren und am Straßenrand zu stehen. Und: „Die Drogenabhängigen sind doch nicht im Viertel, weil es hier Drogenberatungsstellen gibt. Das ist doch wohl umgekehrt.“

Auf seiner „Bedarfsliste“ für weitere Sozialprojekte im Viertel stünden z.B. auch eine Alten-Wohngemeinschaft, ein Blinden-Verein und Krabbelgruppen. „Wollen Sie die hier nicht haben?“, fragte der Ortsamtsleiter.

Die Spedition Burwitz und ein Getränkemarkt, der bislang ebenfalls per LKW beliefert wird, hätten in der Wohnstraße allerdings tatsächlich nichts zu suchen. „In ein, zwei Jahren“ würden beide umziehen, wenn die Friesenstraße als „Sanierungsgebiet“ ausgewiesen ist und deshalb entsprechende Subventionen beantragt werden können, versprach Heck.

Große Mehrheit

gegen Resolution

„Die Schmerzgrenze ist erreicht“ hatte Sönke Hundt, Initiator der Anwohnerversammlung, in einer Resolution formuliert, die er zum Schluß abstimmen lassen wollte. „Das Verbot der Straßenprostitution muß durchgesetzt werden“, forderte er darin und: „Projekte wie das Dorgencafe sind hier abzulehnen.“ Doch die Nachbarn fanden das Ergebnis des gemeinsamen Abends darin nicht wieder und stimmten mit Zwei -Drittel-Mehrheit dagegen, überhaupt eine Resolution zu beschließen.

Friesenstraße - das ist nicht nur Drogenstrich und Lasterparkplatz. „Die Politiker sind doch froh, daß wir hier so blöde sind und uns das alles gefallen lassen“, empörte sich ein Anwohner. „Nein“, antwortete ihm ein Nachbar, „wir sind zum Glück so liberal, daß wir mit den Problemen in unserem Viertel leben.“

Dirk Asendorpf