piwik no script img

Otto find‘ ich Wanz

■ Nach einer halben Weltmeisterschafts-Stunde legte Big Otto Catch-Senator Volker Kröning 200 Kilo ungehobelten Fleischs zu Füßen / The Great Kokina ganz klein

Für die Hymne gab es eigentlich nicht den geringsten Grund. Die fürstlichen 200 Kilo Mensch des Herausforderes in der blauen Ringecke waren aus den USA importiert, die 180 seines Gegenübers in der roten Ecke stammen aus Österreich, dem meines Wissens 1945 wieder ein eigener Staatstatus zugebilligt wurde. Und trotzdem stand die Bremer Stadthalle und sang, sang laut und falsch, was sie für richtig hielt: „Deutschland, Deutschland über alles, über alles in der Welt.“

Der Bürgerschaftspräsident stand und sang, der Justiz- und Sportsenator stand und sang, sein Referent stand und sang, der Stadthallenchef stand und sang, ohne daß im Geruch abgebrannter Wunderkerzen und nationalem Lärm-Mief die jeweils gewählte Textfassung herauszuhören gewesen wäre. Das war vor dem Kampf. Und vor dem Kampf war auch das obligate Hallen-Buuhhhhh für den ehrengastlichen Bürgerschaftspräsidenten

Dr. Dieter Klink und den gemäß Senats-Geschäftsverteilung zuständigen Catch-Senator, Volker Kröning.

Eine halbe Stunde oder - in Catchersprache - sechs Runden später kam, was kommen mußte, stieg also ein überraschend kleiner Sportsenator pflichtbewußt selbst zum großen, leicht lädierten Otto in den Ring, legte ihm vertrauensvoll sein Händchen in die Pranke und wuchtete sie in die Höhenlüfte der Siegerpose. Schwitzend, blutend, ächzend hatte Otto mit einem schnellen Hüftwurf 200 Kilo Muskeln, Fett, Bauch, Wade, Haare, Hintern - in ihrer unteren Hälfte leberwurstartig durch schwarzes Lastex zur ahnbaren Form menschlichen Körpers gezwungen, obenrum frei schwingend, quellend, hüpfend - um die hosenbundmarkierte Körperachse gewirbelt und dem Senator zu Füßen in den Ringstaub gelegt. Schulterfesselung und Ende eines gemütlichen Tanzbärs, der sich und dem Publikum und zeit- und probeweise in der Rolle eines ungebärdigen „wehe-wenn-es-losgelassen-Ungetüms“ gefallen hatte.

Schwarz-zottig zugewachsen, schnaubend und stampfend ungeheuerten die vier fürstlich hawaiianischen Südseezentner um Ottos knapp sitzenden türkis-rose-geringelten Kurzbein -Riesenstrampler, mühten sich, Glieder und Gelenke seines gefeierten Widersachers zu immer neuen, anatomisch unvorhergesehenen, skurril-schmerzhaften Formen zu verbiegen, beschleunigten die eigenen Fleischberge auf kurzer Ring-Diagonale immer wieder zu höchstmöglicher Geschwindigkeit, um sie vollwuchtig an Big Ottos bigger Bauchdecke zum Stillstand zu bringen und tat überhaupt alles nur mögliche, um das Bremer Catch-Turnier zu „einem der schönsten der Welt“ (über alles in derselben, s.o) zu machen. So sagte es der alte und jetzt auch

neue Catchweltmeister Otto nach dem Kampf am Samstag und wünschte allseits frohe Weihnachten. Wohingegen die Bremer „Ringkampffreunde“ (Zuschauerbezeichnung lt. Hallensprecher) sich eher „abgerissene Eier“ oder „allegemachtes Hackfleisch“ gewünscht hätten.

Gemessen an besagtem kleinen Prinzen „Great Kokina“ und Bremer Publikum ist Big Otto nämlich im Grunde Gemütsmensch, langmütig und herzensgut und haut nur zurück und niemals hin. Mehrfach durfte der ungezogene Urwaldrüpel ihm fünf, sechs Mal

seinen Schädel gegen die Stirn hämmern, ihm die fleischigen Unterarme in den Brustkorb rammen, ehe es Otto endlich zu bunt wurde und er den ungehobelten Wüstling kurzerhand über die Ringseile vor die Presse- und Ehrenplätze expedierte. Sechs Runden durfte der Prinz sich würgend, prügelnd, hebelnd, biegend an Ottos vielem Fleisch austoben, dann war Deutschland zwar noch immer nicht in den Grenzen von 1937 wiederhergestellt, aber der Tag war trotzdem nie so „wunderschön wie heute“.

Klaus Schloesser

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen