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KOMMENTARZutiefst erleichtert

■ In Niedersachsen ist Albrechts Abwahl gescheitert

Heil Herzog Wittekinds Stamm“ – aus zutiefst erleichterter Männerbrust erklang gestern diese letzte Zeile des Niedersachsen-Liedes, als der „Sieger“ Ernst Albrecht vor die CDU-Fraktion trat. Monatelange Anspannung schmetterte die skandalgebeutelte CDU-Mannschaft da hinaus. Albrecht machte für die niedersächsischen Affären die Presse und eine beispiellose „Verleumdungskampagne“ verantwortlich und sah „die politischen Bedingungen in Niedersachsen voll verändert“.

Niedersachsens CDU will nun also aus ihrem Tief in der Wählergunst von 36 Prozent bis zur nächsten Landtagswahl im Frühjahr 1990 wieder herauskommen. Nach dem gescheiterten CDU-Mißtrauensvotum gegen den damaligen Bundeskanzler Willy Brandt konnte die SPD anschließend ja auch einen glänzenden Wahlsieg im Bund feiern. Wenn sie auf diese Analogie setzen, irren die niedersächsischen Christdemokraten. 1972 bei dem Mißtrauensvotum Rainer Barzels gegen Brandt versuchte die CDU durch Überläufer und Kauf von Abgeordneten die Regierung gegen den Willen der Mehrheit der Wähler zu stürzen. Der jetzt gescheiterte Versuch Gerhard Schröders und der Grünen ging und geht in die entgegengesetze Richtung: Durch Neuwahlen Mehrheiten im Landtag zu schaffen, die dem Willen der Wahlbevölkerung entsprechen.

An seinen Schimpf auf die Kamfpresse und deren Verleumdungskampagne mag Ernst Albrecht sogar selbst glauben. In dreizehn Jahren hat sich schließlich sein Regierungsstil kaum verändert, eine „Skandalregierung“ wurde sein Kabinett jedoch erst im letzten halben Jahr. Der Ministerpräsident hat eines nicht begriffen: Wäre zum Beispiel seine „Celler Staatsbombe“ erst nach der Barschel –Affäre ruchbar geworden, so hätte er diese Enthüllung von vornherein politisch nicht überlebt. Die Kieler Affäre hat neue Maßstäbe für die politische Moral in der Bundesrepublik gesetzt. Im Lichte dieser Maßstäbe sind zahlreiche, zum Teil schon jahrelang zurückliegende niedersächsische Vorgänge wie die CDU-Spielbankbeteiligung und die Affären in Polizei und Verfassungschutz erneut aufgegriffen und neu bewertet worden. Dieser Versuch, etwas höhere Anforderungen auch in der niedersächsischen Politik durchzusetzen, droht nun zu scheitern.

Jürgen Voges

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