Zuviel Tritium: AKW-Abriß gestoppt

■ Wegen drohender Überschreitung der festgesetzten radioaktiven Werte mußte die Demontage des Atomkraftwerks Niederaichbach abgebrochen werden / Als Ausweg sollen Grenzwerte heraufgesetzt werden

Niederaichbach/Karlsruhe (dpa/taz) - Beim europaweit erstmaligen Abriß eines Atomkraftwerks in Niederaichbach bei Landshut mußten die Demontage-Arbeiten jetzt abgebrochen werden. Das Kernforschungszentrum Karlsruhe begründete die Maßnahme am Dienstag mit der radioaktiven Belastung der Raumluft durch den Beta-Strahler Tritium, die bei einer Fortsetzung der Arbeiten zu einer Überschreitung der genehmigten Abgabewerte geführt hätte.

Das Tritium stammt offenbar aus Resten des ursprünglich als Moderator verwendeten Schweren Wassers. Diese Reste hätten sich vermutlich seit der Stillegung des Niederaichbacher Reaktors vor 14 Jahren in unzugänglichen Teilen des Moderatorsystems gesammelt.

Im Antrag für die Beseitigungsgenehmigung war das KFK von der vollständigen Entfernung dieses radioaktiv belasteten Wassers ausgegangen. Als Ausweg aus dem Dilemma will das KFK jetzt nicht die Reste des Schweren Wassers entfernen, sondern neue, höhere Tritiumwerte beantragen. Die alten Werte seien extrem niedrig beantragt und festgesetzt worden, hieß es.

Nicht betroffen vom vorzeitigen Abbruch der Reaktordemontage seien andere Anlagenteile. Das Kernforschungszentrum beeilte sich mit der Versicherung, daß die Abbrucharbeiten in Niederaichbach dennoch planmäßig fortgeführt würden. Das mit 100 Megawatt Leistung relativ kleine Atomkraftwerk Niederaichbach war 1966 bis 1972 mit einem Kostenaufwand von 232 Millionen Mark errichtet worden. Wegen schwerwiegender technischer Schwierigkeiten, die bereits in der Anfangsphase auftraten, wurde die Anlage bereits 1974 nach nur 19 Tagen Laufzeit abgeschaltet. Seitdem befand sich der Atomreaktor im sogenannten „gesicherten Einschluß“.

Gegen den bislang nicht erprobten Abriß, dessen Kosten offiziell auf mindestens 120 Millionen Mark veranschlagt sind, hatten Bürgerinitiativen und Grüne wegen einer befürchteten Freisetzung von Radioaktivität ebenso vergeblich protestiert wie der Besitzer eines benachbarten Grundstücks mit einer Klage vor dem Regensburger Verwaltungsgericht. Kritische Wissenschaftler erwarten, daß die Kosten für den Abriß, die Kosten für den Bau der Anlage noch übersteigen könnten.

Niederaichbach ist der Prototyp für den Abriß von Atomkraftwerken. Von den weltweit über 400 Reaktoren, die derzeit in Betrieb sind, sollen in den nächsten zehn Jahren nahezu ein Drittel stillgelegt und demontiert werden.