Bauernopfer für Kewenig

■ Chef des Berliner Verfassungsschutzes gab Einsatz des V-Mannes Telschow bei SPD-Politiker zu / Innensenator Kewenig hat angeblich von nichts gewußt

Berlin (taz) - Der Chef des Berliner Verfassungsschutzes hat zugegeben, daß sein Amt von der Bespitzelung des Geheimdienst-Kontrolleurs und SPD-Politikers Pätzold wußte und Berichte über die Aktion abbnahm - nur den Auftrag dazu habe man nicht erteilt. In der Sitzung des Berliner Untersuchungsauschusses über die Skandale beim Landesamt für Verfassungsschutz warf sich damit gestern der Leiter der Behörde, Dieter Wagner, für seinen Innensenator Wilhelm Kewenig in die Bresche.

In der dritten Sitzung des Ausschusses sollte geklärt werden, wieweit der V-Mann Steffen Telschow den SPD -Parlamentarier und Angehörigen der Parlamentarischen Kontrollkommission (PKK) Pätzold im Auftrag des Amtes ausgeforscht hat. Wagner räumte in der öffentlichen Sitzung erstmals ein, daß der Ex-DDRler für das Amt gearbeitet und daß das Amt von den Treffen mit Pätzold gewußt habe. Daß die Treffen im Auftrag des VS stattgefunden haben, bestritt er aber nachdrücklich. Ganz im Gegenteil hätte Innensenator Kewenig schon am 4.Oktober ausdrücklich angeordnet, zu dem V -Mann-Novizen Telschow „alle Taue zu kappen“. Nach Darstellungen Wagners hätten er und zwei weitere Mitarbeiter im Amt aber beschlossen, die Weisung des Innensenators zu „interpretieren“ - aus Angst, Telschow könne bei einem sofortigen Abbruch der Verbindung „aus dem Ruder laufen“. Nach den Worten des VS-Chefs sollte der Mitarbeiter nach und nach bei einer „Nachbetreuung“ aus den Diensten des Amtes entlassen werden. Allerdings räumte Wagner auf Befragen ein, das die „Nachbetreuung“ doppelt solange gedauert habe wie die „aktive Phase“. Vor dem „Kappen der Taue“ hat Steffen Telschow demnach neun Mal und danach sogar elf Mal Zahlungen des Landesamtes erhalten. Wagners Aussage gipfelte in der Behauptung, er habe weder den Senator noch den zuständigen Staatssekretär Müllenbrock von seiner eigenwilligen „Interpretation“ verständigt.

Wagner gab auch zu, daß Steffen Telschow von seinen Besuchen bei dem SPD-Parlamentarier regelmäßig seinem Kontaktmann „Max“ Bericht erstattete. So traf sich Telschow am 15. 11. um 13.30 Uhr mit seinen V-Mann Führer, ging um 15.00 Uhr zu seinem zweiten Treffen mit dem SPD-Abgeordneten Pätzold, um dann sofort wieder bei „Max Fock“ Bericht über das Treffen zu erstatten. Auch vom ersten Treff mit Pätzold lag dem Amt eine detailierte Darstellung vor. Wie Wagner bestätigte, konnte er einem Akten-Vermerk von „Max“ entnehmen, daß der frischgebackene Mitarbeiter bei dem Treffen mit dem PKK-Mitglied auch Justizunterlagen Pätzolds mit Angaben zur Person Telschows ausgespäht hatte. Innensenator Kewenig erklärt aber heute noch, „niemals“ sei ein Mitarbeiter des Verfassungsschutzes auf das SPD-Mitglied angesetzt worden.

Der Kontakt des Verfassungsschutzes zu Telschow soll dann endgültig am 25. oder 26. November abgebrochen worden sein. Wiederum auf eine ausdrückliche Anweisung des Innensenator einen Tag nachdem die SPD in der Öffentlichkeit die Ausforschung Pätzolds heftig angeprangert hatte. Obwohl der CDU-Innensenator spätestens seit dem 4. Oktober von der Tätigkeit des 24jährigen für den VS wußte, konterte er noch am 28. November in der Sitzung des Innenausschutzes die entsprechenden Vorwürfe des SPD-Mann Pätzold mit den Worten: „Sie wissen doch, daß sie lügen“. Zur Untermauerung verteilte er sogar die Abschrift eines älteren Radio -Interviews, in dem Telschow sämtliche Vorwürfe, er arbeite für den Nachrichtendienst, abstritt.

In der dreistündigen Vernehmung erklärte VS-Chef Wagner weiter, Telschow sei aus seiner Sicht weder ein V-Mann, ein Informant, noch eine „Quelle“ gewesen. Es habe lediglich eine „Probephase“ gegeben, in der der 24jährige auf seine Tauglichkeit als künftiger Mitarbeiter des Amtes getestet werden sollte. Wagner räumte allerdings auf Nachfragen ein, daß Telschow schon zu dieser Zeit für das Landesamt Informationen gesammelt und für seine Berichte jeweils ein Honorar zwischen 50 und 100 Mark erhalten hat. Nach der Verurteilung des V-Mannes im Rahmen der Anti-IWF -Kampagne (er war wegen Steinewürfe zu einer einjährigen Bewährungsstrafe verurteilt worden) habe das Amt sich dann perspektivisch von ihm trennen wollen. Für ihn sei da die „Zäsur“ gewesen. In der vier Zentimeter dicken Akte findet sich allerdings ein Vermerk vom 30. September, dem Tag nach der Verurteilung, in der dem V-Mann nur Positives bescheinigt wird. Diesen Umstand mochte Wagner ebnso wenig erklären, wie eine Sonderzuwendung an Telschow: Damit sollte der sich für sein neues Szeneumfeld bei den Autonomen eine Lederjacke kaufen. Farbe schwarz. Telschow, der am Nachmittag vor dem Ausschuß aussagte, hatte in der taz und dann in den letzten Tagen wiederholt erklärt, er sei „definitiv auffgefordert worden“, das Mitglied der PKK aufzusuchen. Die weitere Vernehmung Telschow wurde auf Donnerstag vertagt.

Till Meyer und Wolfgang Gast