'Öko-Test‘: Ausstieg aus der Alternativwirtschaft?

Das Ökologiemagazin verpaßte sich eine Chefredaktion / Turbulente Betriebskonferenz: 'Öko-Test'-Herausgeber Jürgen Räuschel-Schulte sprach von „Putschversuchen“, „horrender Personalpolitik“ und einer „Bilanz der Katastrophen und Versäumnisse“ im Verlagsbereich / Interne Krise trotz Auflagenrekord  ■  Von Thomas Östreicher

'Öko-Test‘, seit Frühjahr 1985 in Frankfurt erscheinendes Flagschiff der Gesundheits-Bewegung, hatte sich seit jeher freiwillig den harten Selbstverwaltungs-Richtlinien unterworfen, nach denen alternative Wirtschaftsbetriebe arbeiten müssen, die vor der Scene (und sich selbst) bestehen wollen. Zwar bestand von Anfang an kein Zweifel daran, daß bei einer Monatszeitschrift arbeitsteilig produziert werden müsse. Folgerichtig gab es einen Herausgeber, einen Geschäftsführer und diverse Spezialposten wie Anzeigenakquisiteurin und Chefin vom Dienst. Doch was es - abgesehen von einer anfänglichen Übergangszeit von neun Monaten - nicht gab: eine inhaltlich bestimmende Chefredaktion. Und genau die wurde per Beschluß vom 17. November 1988 mit knapper Mehrheit installiert - gegen den ausdrücklichen Willen der Redaktion, von deren acht Mitarbeitern lediglich zwei für den Vorschlag stimmten.

„Nachträglich fühle ich mich trickreich überrumpelt“, mußte sich Räuschel-Schulte später eingestehen, denn „gemeinsame Beschlüsse können nur Übergreifendes regeln“. Für zunächst drei Monate bilden Regina Sauer, Fritz Arndt und Jürgen Stellpflug nun probeweise das Gremium, das nicht mehr sei als „ein Versuch, den Alltag praktikabel, handhabbar zu machen“ (Stellpflug).

Einige seiner Redaktionskolleginnen und -kollegen sahen das anders. Die Art des Vorgehens per Beschluß der Betriebsversammlung - ein vorheriger Versuch innerhalb der Redaktion war gescheitert - verärgerte viele. Seit der bewußten Gesamtprojekt-Konferenz, die das Betriebsklima mehr vergiftete, als das alle harten Auseinandersetzungen zuvor vermochten, haben innerhalb weniger Tage vier Redaktionsmitglieder das Blatt verlassen.

Die Kritik richtet sich vor allem gegen die Notwendigkeit einer Chefredaktion überhaupt, schließlich sind Arndt und Stellpflug weiter für die gleichen Heftteile zuständig wie bisher (Reportagen und Tests), lediglich Stellpflug hat die Verantwortung für den „Magazin„-Teil übernommen. Der neue Chefredakteur hingegen sieht nach eigenem Bekunden auch nach Abschaffung der Gleichberechtigung aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Selbstverwaltung noch nicht gefährdet.

Unterschiedliche Kompetenzen, etwa durch verschieden lange Betriebszugehörigkeit, leugnet auch Jürgen Räuschel-Schulte nicht. „Eine wie immer geartete Hierarchisierung sollte aber nicht aussehen wie in einem Feudalstaat.“ Dem 'Öko-Test' -Gründer zufolge mangelt es derzeit daran, daß geschäftliche oder redaktionelle Abläufe nicht erst im Nachhinein erklärt, sondern auch langfristige Strategien bekanntgemacht und diskutiert werden.

Daß die Atmosphäre im Betrieb der eines Haifischbeckens ähnelt, ist bereits seit längerem bekannt. Es war vor allem der harsche persönliche Umgangston, der seit den ersten 'Öko -Test'-Tagen fast ein Dutzend Redakteure die Flucht hat ergreifen lassen. „Management by Angst“ wirft Räuschel -Schulte seinen Kontrahenten Stellpflug und Berger vor, andere beklagen deren „tribunalartige“ Kritik bei der wöchentlichen Redaktionskonferenz.

Der seit langem schwelende Konflikt bei 'Öko-Test‘ besteht allerdings aus mehr als Unfähigkeit zur Kooperation, Kompetenzgerangel und organisatorischem Hickhack. Die Richtigkeit der Blatt-Linie, eben eine Verbraucherzeitschrift zu sein, die die Urteilsfähigkeit der Leser erhöht, und das mittels möglichst praxisnaher, „gebrauchswertorientierter“ Artikel, steht bei allen Beteiligten außer Zweifel. Was freilich unter „praxisnah“ zu verstehen ist, da gehen die Meinungen auseinander.

So gilt Stellpflug als konsequenter Verfechter einer Auflagensteigerung durch besonderes Herausstellen aufsehenerregender Test-Berichte. Vorwiegend durch das nahezu regelmäßige, per Pressekonferenz angekündigte „Gift des Monats“ (Hausjargon) seien die immensen Absatzzuwächse zu erklären, sagen Ex-Redakteure. Als 'Öko-Test‘ startete, brachte die Zeitschrift in guten Monaten 20- bis 30.000 Exemplare unter die Leute. Mittlerweile werden alle vier Wochen knapp 100.000 Hefte verkauft, davon fast 50.000 im Abonnement. Skandale „gepusht“?

Doch erreicht worden sei das mitunter auch durch, streng genommen, „Nonsens-Tests“ wie beispielsweise „Urin im Schwimmwasser“, eine Geschichte, die unangemessen spektakulär aufgemacht im Heft erschien, klagt ein früheres Redaktionsmitglied, das seinen Namen nicht genannt wissen will. Beim sogenannten Kondom-Test, lautet die Kritik, habe man doch in Wahrheit gar nichts getestet, sondern nur im Zeitalter von Aids Interesse schinden wollen. Drittes Beispiel: Es sei eine Pestizid-Belastung von Hautcremes „zum Skandal gepusht worden, die bei jeder Butter-Sorte unvermeidlich ist“. Hintergrundgeschichten dagegen - auch mit positiven Ansätzen durch Alternativkonzepte, zum Beispiel beim Thema öffentlicher Nahverkehr - und die „ganzheitliche“ Sichtweise kämen bei weitem zu kurz.Am Kiosk gehen zur Zeit mehr umweltschutzpapier-graue 'Öko-Test' -Exemplare weg als von den bunten Konkurrenzblättern 'Natur‘ und 'Chancen‘ zusammengenommen. Doch der Erfolg machte den Alternativbetrieb unter seinesgleichen einsam. Ein ehemaliger 'Öko-Testler‘ bilanziert heute resigniert, 'Öko -Test‘ habe nach und nach die Zusammenarbeit mit allen bisherigen Geschäftspartnern aus alternativen Unternehmen aufgekündigt - ohne ernsthafte Versuche, gemeinsame Schwierigkeiten anzugehen.

Es gab noch andere arge Dämpfer, die den Mitarbeitern die Motivation raubten. Just in dem Heft, für dessen Magazin -Teil der Drittel-Chefredakteur von seinem Vorgänger als Ressortleiter, Friedrich Siekmeier, erstmals die Verantwortung übernommen hatte, erschien eine Enthüllungsstory mit integriertem Test, bei der vor giftigen Benzol-Dämpfen aus den Kunststofftanks von PKWs gewarnt wurde - Titel: „Tod aus dem Tank“ (November-Ausgabe). Die Horrormeldung, die sich fürs erste auf Fiat-Wagen des Modells „Uno“ bezog, machte solchen Wirbel, daß die Fiat -Umsätze zurückgingen.

Der Haken an der Sache war, daß der TÜV zwar einen (einzigen) Fiat „Uno“ getestet hatte, das untersuchte Exemplar aber trotz Zusicherung des Werks gar keinen Kunststofftank besaß. Eine peinliche Panne, deren Richtigstellung jetzt im Januar-Heft in der neugeschaffenen Rubrik „Hintergrund“ plaziert wurde. „Unverantwortliche

Geldwerbung“

Die möglicherweise fatalste Wirkung auf die 'Öko-Test' -Klientel mag allerdings haben, daß Geschäftsführer Günter Berger nach wie vor für neue Anteilseigner wirbt, obwohl das offenbar gar nicht mehr nötig ist. Wenn die Auflage zweimal hintereinander um 20.000 Hefte sinke, rutsche 'Öko-Test‘ sofort wieder ins Minus. „Wir haben keine Reserven, uns gehört nichts“, begründen Berger und Stellpflug die Geschäftspolitik. Die Wahrheit stellt sich - wieder einmal dem anderen Jürgen anders dar, denn der Betrieb wirtschafte seit 1988 rentabel: „Diese Geldwerbung finde ich unverantwortlich und im Hinblick auf die vielen Projekte, die dringend Geld brauchen, durch nichts gerechtfertigt.“ Die Zahlen scheinen das zu bestätigen: Die zur Zeit 1.832 Kommanditisten und stillen Gesellschafter von 'Öko-Test‘ haben seit Beginn knapp drei Millionen Mark in den Betrieb eingebracht, der Test-Etat schnellte fast übergangslos von jährlichen anfangs 100.000 Mark auf das Achtfache. Die Gehälter wurden erst kürzlich auf 3.000 Mark brutto im Monat angehoben und steigen alle zwei jahre um 200, mit jedem Kind um weitere 250 Mark. Allein die flüssigen Mittel des Verlags auf Spar- und Girokonten betragen fast eine Million.

Eines der Themen der im März angesetzten Versammlung der Gesellschafter: die mögliche Bildung eines Aufsichtsrates, der das 'Öko-Test'-Geld verwaltet. Bis dahin will der zur Konzeption eines „neuen publizistischen Projekts“ momentan freigestellte Räuschel-Schulte weiter nachsinnen über die Wiederherstellung dessen, was seiner Meinung nach bei 'Öko -Test‘ verloren gegangen ist: die „alternative Unternehmenskultur“.