Vor- und Absätze für 1989

„Der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert.“ Der Politiker, der diese weisen Worte zu Beginn des Jahres in den Mund nahm ist nicht etwa Pressesprecher von Mister Diabolo. Es ist FDP-Chef Walter Rasch, der flugs alle Vorsatz-Infizierten als potentielle Untergrundakteure einstufte. Er persönlich wolle sich deshalb nicht allzuviel vornehmen.

Mit seiner Absage an die guten Vorsätze steht Rasch allein auf weiter Flur. Andere Politiker scheinen sich auf die alljährliche Interviewsituation in Sachen „Gute Vorsätze im Neuen Jahr“ bestens vorzubereiten. Bürgermeister Diepgen möchte pünktlicher bei Terminen erscheinen, AL -Fraktionsvorsitzender Wieland forderte wie auch im letzten Jahr den Rücktritt Kewenigs und Wissenschaftssenator Turner will eine Leiter in seiner Bibliothek von der Last abgelegter Bücher befreien (er will sie sogar lesen!). Politiker bekennen Farbe mit Belanglosigkeiten erster Klasse zum 1.Januar. Ausnahmsweise geben sich da Prominenz und Persona non grata die Hand.

So wünscht sich die Hausfrau aus Charlottenburg, daß der Hundekot endlich von den Straßen verschwinde, der Postbeamte aus Wedding möchte endlich einen Briefmarkenbefeuchter, der nicht andauernd austrocknet und die Arbeiterin in der Keksfabrik hofft auf die Versetzung in die Chipsabteilung. „Trinken wir auf den Dauerfrost im Januar“, rülpsen die Heizungsmonteure um Mitternacht und sind sich doch einig, welche Auswirkungen das ewige Gesabbel der Wünsche und Hoffnungen für das neue Jahr haben: Keine. Spätestens fünf nach zwölf, wenn das Freudenfeuer auf den Straßen seinen Höhepunkt erreicht, beginnen sich die guten Vorsätze und Wünsche, die sich der denkende Mensch zurechtgedreht hat, in feuchtfröhlichem Wohlgefallen aufzulösen.

Hatte der pralinensüchtige Manager noch am Silvesterabend den edlen Vorsatz gefaßt, ab morgen nur noch Müsli zu essen, so bereitet ihm aber spätestens am Neujahrsmorgen der süße Vorrat im Aktenkoffer den ersten Durchhaltestreß.

Die Frage, die uns bleibt: Wozu also Vorsätze, und wer soll sie für uns durchhalten? Der Schuhindustrie käme es jedenfalls gelegen, wenn zum kommenden Jahr die Forderung zur Abwechslung lautete: Mehr Absätze statt Vorsätze.

Christine Berger