: Chilenischer Weg?
Jugoslawien geht düsteren Zeiten entgegen ■ K O M M E N T A R
Rosig sind sie nicht gerade, die Zukunftsaussichten in Jugoslawien. Das Land ist fast bankrott, der Lebensstandard ist auf Dritte-Welt-Niveau gefallen, der Schuldenberg ist in Europa nur noch mit dem Polens zu vergleichen, und das früher so gelobte Selbstverwaltungssystem muß den Konkurs anmelden. Dazu kommen noch die Spannungen zwischen den Republiken und die nationalistischen Ausbrüche in Serbien gegen die Minderheiten im eigenen Land.
Doch noch schwerer wiegt die Krise des politischen Systems. Der Bund der Kommunisten hat für die meisten Jugoslawen abgewirtschaftet. Die Korruptionsskandale haben auch noch den letzten Rest von moralischer Autorität der Nachfolger Titos schwinden lassen. Die Sonderinteressen der einzelnen Republiken behindern durchgreifende Reformen des Systems. Oder auch andersherum: die Zentralregierung blockiert weitergehende demokratische Reformen wie die in der entwickeltsten nördlichen Republik Slowenien. Niemand scheint mehr zu wissen, wie der gordische Knoten zu durchschlagen ist.
Auch der Rücktritt der Regierung bietet kaum eine Chance für einen Neubeginn. Die von Mikulic vorgeschlagene IWF -Politik hätte der Bevölkerung noch größere Opfer abverlangt. Und sie hätte der Funken für eine Explosion der Unzufriedenen werden können. Doch diese Gefahr ist auch nach dem Regierungsrücktritt für die Herrschenden noch nicht gebannt. Da der übergreifende und überzeugende Wille zur Erneuerung von oben weiterhin fehlt, ist eine neue, gewaltige Streikbewegung nicht mehr auszuschließen. Daß das Militär nun Reservisten einzieht, deutet in eine noch düstere Zukunft: Wer kann den chilenischen Weg Jugoslawiens noch verhindern?
Erich Rathfelder
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen