Kampala am Jahreswechsel - kein einig Land in Sicht

Uganda versucht zu vergessen: Eine Flut von Schmuggelware aus aller Welt und erste Prestige-Neubauten übertünchen das vom Bürgerkrieg gezeichnete Straßenbild der Hauptstadt / Drei Jahre nach dem Machtantritt Musevenis kommen wirtschaftliche und politische Fortschritte nur im Schneckentempo voran  ■  Aus Kampala C. Wichterich

Der Nile Grill ist der Platz in Kampala. Da geben Geschäftsmänner in Nadelstreifenanzügen für ein fades Mittagessen so viel aus, wie eine Behördenangestellte im Monat verdient. Da trinken die wazungu ihr Bier, die Weißen, die fast alle länger in Ugandas Hauptstadt hängenbleiben als geplant, und die täglich mehr werden, weil ausländische Unternehmen und Entwicklungshilfeorganisationen Uganda zunehmend als Investitionsfeld entdecken.

Zwischen den weißlackierten Holztischen schlendern Jugendliche wie wandelnde Supermarktständer: einer bietet einen Babysitz, Türklinken und Socken an, ein anderer Kassetten, Petroleumlampen und After Shave, der nächste eine Kabelaufwicklung, Wäscheklammern und eine Tannenbaumbeleuchtung en miniature. Am Eingang zum Nile Grill steht ein Schuld: „Straßenhändler verboten“.

In Kampala gibt's alles, freilich nicht für 'nen Appel un‘ Ei. Denn das, was hier immer reichlicher angeboten wird, kommt aus Kenia, Dubai oder London. Es ist sämtlich Schmuggelware. Privat werden saftige Profite gemacht, vorbei am Staat, dessen Kassen leer sind. Jeder scheint hier in einen Deal verwickelt zu sein oder besser gleich in mehrere. Dollars schwarz tauschen - der Schwarzmarktkurs ist zur Zeit „nur“ dreimal so hoch wie der offizielle - oder einen Pick -up leihen, zur kenianischen Grenze preschen, wo sich zwischen den beiden Schlagbäumen ein reger Handel mit allen erdenklichen Konsumgütern abspielt, ihn voll laden mit Seife, Zucker, Margarine und Schaumgummimatratzen, die Zöllner und die NRA-Soldaten an den Straßensperren schmieren - so kommt's, daß die Versorgung mit Konsumartikeln auf den Straßen Kampalas zur Zeit so gut ist wie lange nicht mehr.

Der Nachschub aus London hat mit dem Absturz der ugandischen Boeing 707 in Rom Mitte Oktober allerdings einen schweren Schlag erlitten. Die Maschine war die einzige von Uganda Airlines, die Landeerlaubnis in England hatte. Auf dem Flug zur ehemaligen Kolonialmacht war sie jedesmal voll mit Dollars und beim Rückflug voll mit Luxusartikeln - so sagt man.

Die Dollargeschäfte stehen in schönster Blüte. Die Günstlinge Amins, die sich an dem konfiszierten Eigentum der Inder bereichert haben, ruhen auf satten Polstern, z.B. wenn sie ein damals angeeignetes Haus an wazungu vermieten, für 1.000 Dollar pro Monat, auf ein Konto in den USA bitteschön. Die meisten Passanten im Stadtzentrum sind gut gekleidet. Der Verkehr wird zusehends dichter, doch öffentliche Verkehrsmittel sieht man kaum. Ein augenfälliger Widerspruch von wachsendem privatem Reichtum der Geld-Elite und öffentlicher Armut.

Stadt mit gekapptem Lebensnerv

Kampala wirkt wie eine Stadt, deren Uhr Ende der sechziger Jahre stehen geblieben ist. Kaum neuere Architektur, Parkuhren aus den sechziger Jahren sind umgeknickt und staubverkrustet, ausgebrannte und zerschossene Gebäude, Straße mit Schlaglöchern, nein eher Kratern, Bauruinen aus der Zeit Idi Amins, als die Inder verjagt wurden und sie ihre Dollars, das Schmierfett der Ökonomie, mitnahmen. Eine Stadt, deren Lebensnerv damals durchschnitten wurde und jetzt erst wieder zu pulsieren begonnen hat.

Rehabilitation - so nennt man jetzt das Zusammenflicken der Stadt, das Stopfen der Löcher, das Anpinseln einiger Gebäude. Zu den ersten rehabilitierten Gebäuden zählte das Sheraton, ein Luxuskasten, der wie ein Fremdkörper über dem Stadtzentrum thront. Ein paar Soldaten, Bauernjungs in Kampfanzügen, die Kalaschnikow in der Hand, gehen staunend um das Prestigeobjekt herum und beschnuppern es wie einen fremden Vogel Phoenix.

Überall hört man: sie sei besser geworden, die Versorgungslage, die Infrastruktur, vor allem aber die Sicherheit. Zwar hört man auch jetzt noch gelegentlich nachts Schüsse, aber die NRA (National Resistance Army) hat in Kampala die Situation unter Kontrolle.

Aus Kenia kommend, wo die leiseste Kritik an Regierung und Staatschef mit schweren Geschützen beantwortet wird, traue ich meinen Augen nicht, als ich die Zeitungen aufschlage: „ist der National Resistance Council (die gesetzgebende Instanz) völlig nutzlos?“ tönt die linke 'Weekly Topic‘ und „Die breite NRM-Regierung ist ein Kompromiß- und keine Qualitätsregierung“, und selbst die regierungseigene 'New Vision‘ ist nicht zimperlich beim Austeilen von Kritik. Es wird diskutiert und laut gemeckert in Presse und Öffentlichkeit, über die versprochene Verfassung, über ein Mehr-, Ein- und Keinparteiensystem, über die Notwendigkeit von Wahlen, und es werden Gerüchte auf vielen Feuern gekocht.

Bescheidene Erfolge, trügerische Ruhe

Ganz offensichtlich genießen die Kampaler das Gefühl von Offenheit, Sicherheit und Ruhe nach fünfzehn Jahren der Angst, der Gewalt, des Mordens. Auch Museveni hatte sich mit der NRA an die Macht geschossen wie seine Vergänger. Die Grundlage seiner Machtübernahme im Januar 1986 war schmal: Bauern, die er für die NRA rekrutiert hatte, die meisten blutjung und durch die erlebte Schlachterei brutalisiert, Intellektuelle, die ihm Gefolgschaft in der NRM (National Resistance Movement) zusagten - nicht aber eine Massenbasis. Ein Machthaber ohne konsolidierte Machtbasis also, und trotzdem klang sein Programm sehr grundsätzlich. „Keine Wachablösung, sondern fundamentale Veränderungen.“ Er bemühte sich, die NRA-Soldaten zu disziplinieren, denn unter plündernden Regierungsarmeen hatte das Land ausreichend gelitten; er sagte der Korruption ebenso den Kampf an wie der Begünstigungspolitik nach Maßgabe der Stammeszugehörigkeit. Statt seine Regierungsposition diktatorisch auszubauen, versucht er, sie auf ein demokratisch breites Fundament zu stellen.

Jetzt, nach fast drei Jahren, ist die Euphorie verflogen. Der Friede steht auf tönernen Füssen, im Norden und Osten tobt weiterhin ein blutiger Rebellenkampf, die ökonomische Genesung ist in den Anfängen steckgeblieben, die „Rehabilitierung“ schleppt sich dahin, die Inflationsrate beträgt immer noch 120 Prozent. Museveni selbst äußerte bei den Feiern zum 26. Unabhängigkeitstag am 8.Oktober seine Enttäuschung über das Schneckentempo der wirtschaftlichen und politischen Fortschritte.

Seine Strategie war, durch Koalitionen und Befriedung von Gegnern eine breite Basis für seine Politik und eine Annäherung an „nationale Einheit“, die in Uganda längst zur Fata Morgana geworden ist, zu schaffen. Doch Bedrohung und Kampf gegen weiter, intern in Regierung und Armee, mit Waffen im zerrütteten Norden und Osten.

So hat Musevenis Kompromißpolitik Kampala, dem Süden und Westen zwar Sicherheit, dem ganzen Land aber keineswegs den längst überfälligen Frieden bringen können. Politisch ist Museveni in der Regierung durch seine Koalitionspartner gelähmt. Die NRM hat sich wegen ihrer politischen Umarmungsstrategie nicht als bestimmende Kraft durchgesetzt. In den gewählten „Widerstandskomitees“ in den Dörfern und Städten, die die Massen mobilisieren sollten, sitzen die alten Chiefs und die immer schon politisch Einflußreichen.

Strukturanpassung

als Medizin

Auch wirtschaftlich hat Museveni die übernommene Hypothek nicht in den Griff bekommen. „Statt fundamentaler Veränderungen macht die Regierung Strukturanpassung“, schimpft Mahmood Mamdani, Politikwissenschaftler an der Makerere-Universität. Mit 1,2 Milliarden Auslandsschulden gerät die Regierung immer mehr in die Hände von Weltbank und IWF. Mit dem Sparbudget hat sie 1988 Steuern erhöht und abgewertet. Folge: Preissteigerungen. Fabriken, die erst kürzlich „rehabilitiert“ wurden, können nur noch die Hälfte ihrer Produktion absetzen.

Manfred Möchel dagegen, deutscher Berater des Wirtschaftsministeriums, schwört in seinem Büro im 13.Stock hoch über den Niederungen der Stadt auf die Rezepte der Weltbank: Privatisierung und Abspecken des Staatsapparats. Mit 56 Ministerien und 240.000 Regierungsangestellten hält der Staat sich einen Wasserkopf, der sich nur durchfüttern läßt, indem die Gehälter der Staatsdiener niedrig gehalten werden. Von 3.000 bis 6.000 Schilling kann jedoch niemand in der Stadt überleben, geschweige sich eine Dauerwelle für 8.000 Schilling leisten. Das zwingt alle zum „Diebstahl“, wie Mahmood Mamdani es nennt. Die einen stehlen Zeit, indem sie erst gar nicht in ihrem Büro auftauchen, die anderen haben das Schmierunwesen zu einem so komplexen System mit Agenten und Schleppern entwickelt, daß jeder Behördengang zu einem kostspieligen Aderlaß für die Mitbürger wird.

Auch Möchel muß zugeben, daß die Regierung weder das Geld hat, die Gehälter im öffentlichen Dienst zu erhöhen noch die Beamten abzufinden. Also was tun? Lösungen für dieses Gewirr politischer und wirtschaftlicher Probleme sind nicht greifbar.

So traut denn auch niemand in Kampala dem Frieden und der Stabilität des Augenblicks. Auch die gute Versorgungslage ist noch nicht zur Normalität geworden. Kaum verbeitet sich die Nachricht, daß die Kenianer wieder einmal die Grenze geschlossen haben, da bilden sich schon Schlangen an den Tankstellen und Hamsterkäufe werden getätigt. Was den Reichen das Benzin im Tank, ist den Armen der Zucker im Tee. Die Ruhe, die in der Stadt herrscht, ist keine friedliche.

Selbst die wazungu, für die alles käuflich ist, haben Probleme. „Früher hatten sie alle zwei oder drei Frauen, jetzt haben sie Angst vor Aids“, sagt man im Nile Grill.