Boliviens Kokainkönig gegen US-Konkurrenz

Roberto Suarez lehnte die Zusammenarbeit mit der CIA ab, sagt sein Sohn / Der legendäre Kokainkönig wollte die Mafia seines Landes unabhängig machen Er verteilte Lebensmittel in überschwemmten Dörfern und wollte die Außenverschuldung Boliviens bezahlen / Seit Juli 1988 sitzt er im Gefängnis  ■  Aus La Paz Gaby Weber

Der mit Haftbefehl gesuchte Roberto Suarez Levy sorgte für eine Überraschung: Die US-Drogenbehörde „Drug Enforcement Administration“ (DEA) und der Geheimdienst CIA seien „Beschützer des bolivianischen Rauschgifthandels und beschaffen auf diese Weise Gelder für die nicaraguanische Contra“, verkündete er auf einer Pressekonferenz in der Aula der Universität von Santa Cruz de la Sierra, der zweitgrößten Stadt Boliviens. Im Februar des vergangenen Jahres sei sein Vater von zwei hochrangigen CIA-Agenten aufgesucht worden; sie hätten ihm freie Hand für den Kokainschmuggel nach Panama und in die USA angeboten, wo der Stoff gerade knapp geworden sei. Die Ablehnung dieses Ansinnens und ein harter Konkurrenzkampf zwischen Nord und Süd seien der Hintergrund für die Verhaftung seines Vaters gewesen.

Roberto Suarez Senior war Ende Juli auf seiner Farm „El Sujho“ im Schlaf überrascht und verhaftet worden. Den legendären „Kokainkönig“ umgibt seit vielen Jahren der Mythos eines bolivianischer Robin Hoods. Er ist nicht nur der größte Arbeitgeber des Tieflands; während der großen Überschwemmungen flog er mit seinem Hubschrauber in die von der Außenwelt abgeschnittenen Dörfer und verteilte Lebensmittel, Decken und Medikamente. Suarez polierte an seinem Image als „Kämpfer gegen den US-Imperialismus„; öffentlich hat er angeboten, aus seiner Privatschatulle die Auslandsschulden seines Heimatlandes zu begleichen. Und die Regierung in Washington hat er als „größten Rauschgifthändler der Welt“ verhöhnt. In der Unterwelt hat er sich Respekt verschafft, als er mit der Errichtung eigener Kokainlabors die heimische Mafia von der kolumbianischen und US-Konkurrenz unabhängig machte. Noch bis vor zehn Jahren durfte in Bolivien nur Koka angebaut und bis zur Paste verarbeitet werden, für die Kristallierung und den Weiterverkauf war ausschließlich die Konkurrenz im Norden zuständig.

In La Paz rätselt man, warum sich der „Kokainkönig“ widerstandslos verhaften ließ. Schließlich hat er 40 hochmoderne Flugzeuge und Dutzende bis an die Zähne bewaffnete Pistoleros.

Der Kokainkönig hatte noch im April einen Warnschuß abgegeben und einen Videofilm verbreiten lassen, der seine Familienidylle zeigte: Suarez Senior und Junior zechen in fröhlicher Eintracht mit einem hohen General, einem einflußreichen Unternehmer und dem Fraktionschef der rechten ADN. Im Männerbunde sind auch ein Vertreter des kolumbianischen „Kartell von Medelin“ und ein brasilianischer Kollege.

Die kompromittierten Politiker entschuldigten sich einer parlamentarischen Kommission gegenüber damit, daß ihr Tete-a -tete mit dem meistgesuchten Rechtsbrecher des Landes „journalistischen Interessen“ (so der ADN-Politiker), „der Auskundschaftung des kriegerischen Potentials“ (so der General) und „archäologischer Erörterungen“ (so der Unternehmer) gedient habe.

Im September meldete sich Francisco Kempff zu Wort, Vizerektor der Universität von Santa Cruz und Direktoriumsmitglied des Nationalparks. Dort sei, mitten im Dschungel, seit über zwei Jahren unter CIA-Schutz das größte Kokainlabor der Welt in Betrieb, um - so Kempff - Gelder für die nicaraguanische Contra zu beschaffen. „Science-fiction“

-kommentierte der Innenminister. Vor zwei Jahren war Kempffs Vater, ein angesehener Wissenschaftler, bei einer Expedition auf das Labor gestoßen und erschossen worden. Ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuß hatte festgestellt, daß den US-Behörden die Existenz des Labors schon Wochen zuvor bekannt gewesen war.

Auch die Rechte Boliviens ist im Moment nicht gut auf den großen Bruder im Norden zu sprechen. Genüßlich zitierte ein konservatives Blatt den früheren Chef der rechtsradikalen Arena-Partei El Salvadors, Roberto D'Abuisson, der sich über das Liebesverhältnis von US-Botschafter Edwin Corr mit der Suarez-Nichte Margarita empört hatte. Seit Corr im Lande weile, werde El Salvador mit Kokain überschwemmt.

Washington hat sich durch massiven Druck unbeliebt gemacht, Druck, dem die Regierung in La Paz schießlich nachgeben mußte: Zufällig am Tag der Suarez-Verhaftung wurde das „Gesetz über kontrollierte Substanzen“ in Kraft gesetzt. Zum ersten Mal wurde die Koka, das „heilige Blatt der Inkas“, zur „kontrollierten Substanz“ erklärt und ihr Anbau verboten. Nur in einem kleinen übersichtlichen Landstrich, in den Yungas, darf in Zukunft Koka für den traditionellen Gebrauch angepflanzt werden. Wer nach der Ein-Jahres-Frist nicht auf andere Produkte umgestiegen ist, muß mit der Zerstörung seiner Felder rechnen.

Das Gesetz betrifft vor allem die etwa 80.000 Koka-Bauern im Chapare, jenem Gebiet zwischen Cochabamba und Santa Cruz, wo die Anden in tropisches Tiefland übergehen. Die Häuser stehen auf Pfählen - aus Schutz vor Schlangen und vor der tropischen Feuchtigkeit. Fließendes Wasser oder Strom haben die wenigsten, auch Schulen und Ärzte sind rar. Mit einem Hektar Koka verdient der Bauer 20mal mehr als mit einem Hektar Reis. Ein Bauer kann bestenfalls mit seiner gesamten Familie vier Hektar Reis bewirtschaften, denn für moderne Maschinen fehlen ihm Know-how und Geld. Er hat also kaum eine andere Alternative, als weiterhin Koka zu pflanzen.

Gegen das neue Gesetz hat die Gewerkschaft Verfassungsbeschwerde eingelegt, und die Bauern haben massiven Widerstand angekündigt. Als im Juni vergangenen Jahres 5.000 unbewaffnete Bauern im Chapare vor einer Kaserne protestierten, eröffneten die Soldaten das Feuer. Resultat der mehrstündigen Schießerei waren 13 Tote. Beteiligt waren, so zeigten die Aufnahmen der lokalen Fernsehstationen, auch bewaffnete US-Soldaten, von denen bereits 200 im Chapare stationiert werden sollen.

Viele Bauern würden gerne aus dem Koka-Geschäft aussteigen, denn wer Koka anbaut und die Paste herstellt, macht sich nicht nur strafbar, sondern setzt sich der Willkür der Mafia aus, die in den letzten drei Jahren für den Rohstoff immer weniger zahlte. Und dann sind da auch noch Polizei und Militär, die mal ein Feld abbrennen, ein anderes Mal Schutzgeld kassieren.

Die Gewerkschaft hat jetzt der US-Regierung vorgeschlagen, für 1,5 Milliarden Dollar die Koka-Ernte zu kaufen. „Mit diesem Geld“, so ihr Sprecher Filemon Escobar, „können wir die Infrastruktur auf dem Land aufbauen und den Bauern einen neuen Start finanzieren, damit sie andere Kulturen wie Orangen, Mais, Reis oder Orchideen für den Export anbauen können.“

Ernsthafte Anreize für die Umsattlung gibt es nicht. Die USA unterhalten im Chapare ein „Programm für die alternative Entwicklung“. Pro stillgelegtem Hektar Koka, so beschreibt der technische Projektleiter Waldo Telleria, zahle er dem Bauern 2.000 Dollar, 350 Dollar davon hat die US-Regierung gestiftet, der Löwenanteil kommt aus La Paz. Da die vier oder fünf jährlichen Koka-Ernten den Boden extrem belasten, sei er für die Landwirtschaft nicht mehr geeignet. Liegt der Boden brach, braucht er für seine Regenerierung etwa elf Jahre, wird chemischer Dünger eingesetzt, könne der Bauer schon nach vier Jahren auf seinen Acker zurückkehren. Doch wovon er in dieser Zeit leben soll, weiß er nicht zu beantworten.

Ungern gibt Telleria den Etat seines Projektes bekannt: Es muß drei Jahre lang mit acht Millionen Dollar auskommen, davon werden Gehälter, Büro, Fuhrpark, Chemikalien und Propaganda bezahlt. Sein Kollege Guido Vega, der im Chapare ein UNO-Projekt leitet, sieht es realistischer: „Was soll der Bauer mit seinem Feld anfangen, wo außer Koka nichts mehr wächst? Technische Hilfe für die Gründung einer neuen Existenz gibt ihm keiner. Er tut also das Naheliegendste: Er nimmt die 2.000 Dollar und legt woanders ein neues Koka-Feld an.“

In La Paz hatte man fest mit der Zusage neuer Finanzspritzen gerechnet, als am 8.August 1988 US -Außenminister George Shultz zu einem zehnstündigen Staatsbesuch eintraf, denn von den für 1987 und '88 bewilligten 80 Millionen Dollar sind bisher erst elf Prozent ausgezahlt worden. Doch Geld wurde vor allem in den Unterhalt von fünf Hubschraubern gesteckt, nur 1,8 Millionen flossen in die „Alternative Entwicklung“.

Statt konkreter Finanzhilfen bot Shultz, schöne Worte an. Vor einem handverlesenen Publikum feierte er die Erfolge der Drogenbekämpfung und der Verhaftung des „Kokainkönigs“. Unter dem Titel „Wie ist der Krieg gegen die Rauschgifthändler zu gewinnen?“ hielt er eine flammende Rede: „Wir müssen unsere Geldmittel mobilisieren und unsere Schlüssel-Institutionen, die Streitkräfte. Wir müssen unsere militärischen Bestandsprogramme ausweiten.“