Poker um weltweites Chemiewaffenverbot

■ Am Wochenende findet in Paris eine Konferenz von 150 Staaten über die Ächtung der C-Waffen statt

Die einen wollen, daß überhaupt keine chemischen Waffen mehr hergestellt werden. Die anderen - wie die USA - möchten ihre eigenen behalten und nur dafür sorgen, daß nicht noch mehr Länder die Produktion beginnen. Doch alle Verbote sind, wie ein Report des Verbandes der bundesdeutschen chemischen Industrie (VCI) zeigt, leicht zu umgehen - jedenfalls für einfache Waffen wie Senfgas.

„Die größte Versammlung nationaler Delegationen außerhalb der UNO seit dem zweiten Weltkrieg“ nennt sie stolz der Genfer US-Abrüstungbotschafter Max Friedersdorf: die von Präsident Reagan im September vorgeschlagene Chemiewaffenkonferenz, die morgen in Paris von Staatspräsident Mitterrand eröffnet wird. Neben den 105 Unterzeichnerstaaten des Genfer Protokolls von 1925, das den Einsatz von Giftgas verbietet, werden weitere 45 „interessierte Länder“ vertreten sein - über 50 durch ihre Außenminister, unter ihnen Shultz, Schewardnadse und Genscher.

„Eine Alibi-Veranstaltung der USA und anderer Chemiewaffenbesitzer“, so nannte der Friedensforscher und Grünen-Abgeordnete Alfred Mechtersheimer die Konferenz gestern in Bonn. Mit ihr wollten „insbesondere die USA und Frankreich von ihrer Blockade der Genfer Verhandlungen um ein weltweites Verbot der Chemiewaffen ablenken und den Eindruck von Abrüstungswillen erwecken. Washington und Paris modernisieren ihre Chemiewaffen und sind lediglich daran interessiert, ihre Verbreitung, vor allem an mißliebige Regimes, zu verhindern.“ Dabei bezog sich Mechtersheimer auf die gegenwärtige Kampagne der US-Regierung gegen die angebliche Chemiewaffenproduktion Lybiens. Sein Bundestagskollege Scheer von der SPD sieht „die Rolle Frankreichs noch kritischer als die der USA“. Die Bundesregierung müsse „innerhalb der Westeuropäischen Union (WEU) Einfluß auf Frankreich nehmen“. Frankreich müsse sich „verpflichten, keine Chemiewaffen zu produzieren, wenn eine Mehrheit der WEU-Staaten dagegen ist“. Mitterrand hatte in seiner Einladung zur Pariser Konferenz bestritten, daß Frankreich Chemiewaffen besitzt oder produziert. Es wird erwartet, daß er diese Behauptung morgen in seiner Eröffnungsrede wiederholt. Chemiewaffenexperten inner- und außerhalb Frankreichs halten diese Aussage für falsch.

Die Einschätzung der beiden Bundestagsabgeordneten zur Pariser Konferenz wird von fast sämtlichen Dritte-Welt -Staaten geteilt, die sich nach den Erfahrungen mit dem Atomwaffensperrvertrag nicht noch einmal auf ein Unternehmen zur Sicherung des Waffenmonopols einiger Großmächte einlassen wollen. „Schlimmeres verhindern!“ Mit dieser Absicht begründen Genfer Diplomaten der UdSSR und anderer Staaten des Warschauer Vertrags ihre Reise an die Seine. Sie wollen eine Reihe konkreter Vorschläge für Kontroll- und Verifikationsverfahren einbringen. Sowjetische Chemiewaffenexperten rechnen allerdings selber nicht damit, „daß in fünf Tagen eine Einigung über komplizierte Detailfragen gelingt, über die in Genf zum Teil seit Jahren verhandelt wird“. VertreterInnen einiger westeuropäischer Staaten äußern die Hoffnung, „daß bei der Pariser Konferenz nichts Konkretes herauskommt, was die USA als Erfolg ausgeben können, um damit die Bedeutung der Genfer Verhandlungen herunterzuspielen“.

Doch die Erfolgschance ist gering. Bei den zweitägigen Vorverhandlungen, die kurz vor Weihnachten in Genf hinter verschlossenen Türen stattfanden, gab es keine Einigung: weder über Verdachtskontrollen bei vermuteten Chemiewaffeneinsätzen noch über Sanktionen gegen Staaten, denen eine Verletzung des Genfer Protokolls nachgewiesen wird. Nicht einmal über einen Katalog von Erste-Hilfe -Maßnahmen für Giftgas-Verletzte konnten sich die Delegierten verständigen. Selbst Staaten wie Schweden wollten sich hier nicht festlegen - aus Angst, dann im konkreten Fall zu Maßnahmen verpflichtet zu sein, die den neutralen Status des Landes gefährden.

Bislang liegt lediglich der Entwurf für eine Abschlußerklärung vor, die die Konferenz am kommenden Mittwoch verabschieden soll und deren fünf Punkte in ihrer Gewichtung auch noch umstritten sind. Der erste drückt in unverbindlicher Weise „Sorge über jüngste Entwicklungen“ aus und fordert alle Staaten auf, „ihre Bemühungen zur Verhinderung eines Chemiewaffneinsatzes zu verstärken“. Der zweite Punkt bezieht sich auf das Genfer Protokoll vom 17. Juni 1925 und appelliert an „weitere Staaten, diesem Dokument beizutreten“. Genfer Diplomaten schließen nicht völlig aus, daß einige Staaten auf der Pariser Konferenz eine entsprechende Erklärung machen werden. Außerdem, so ist zu hören, sei es „nicht unwesentlich, wenn im Rahmen einer formellen Bekräftigung dieses 62 Jahre alten Dokuments sich auch Unterzeichnerstaaten wie der Irak öffentlich festlegten“. Debattiert wird noch über Punkt drei, der die „Notwendigkeit zum baldigen Abschluß der Genfer Verhandlungen für ein weltweites, vollständiges und verifizierbares Chemiewaffenverbot“ betont. Diesen Punkt wollen vor allem die osteuropäischen Staaten verbindlicher formuliert haben. Auch die Bundesregierung hatte sich in den zuständigen Ausschüssen des Bundestages und inzwischen auch öffentlich festgelegt, dieses sei das „vorrangige Motiv“ für ihre Teilnahme an der Pariser Konferenz.

Die USA hingegen wollen den vierten Punkt der Abschlußerklärung („schweres Risiko der Chemiewaffenproliferation für die ganze Menschheit“) stärker gewichten und mit konkreten Vereinbarungen anreichern. Mit ihrer Kampagne gegen Libyen ist es der Reagan-Administration zumindest im Vorfeld der Konferenz teilweise gelungen, in dieser Richtung Druck auf die Bundesregierung auszuüben. Nachdem Bonn zahlreiche Hin- und Beweise für die Chemiewaffenproduktion Iraks und Irans mittels Anlagen, Know -how und Rohstoffen aus der Bundesrepublik jahrelang negiert und sich stets die Firmenversionen von der Arzneimittel oder Pestizidproduktion zu eigen gemacht hatte, nimmt Bundesaußenminister Genscher Washingtons Behauptungen über die Verbindungen bundesdeutscher chemiefirmen mit der libyschen Regierung „ernst“. Damit läßt sich allerdings die Bundesregierung - auch wenn sie bislang die Washingtoner „Beweise“ als unzureichend bezeichnet, mit einspannen, wenn die USA die Problematik der Chemiewaffenproduktion für ihre außenpolitischen Ziele instrumentalisieren.

Andreas Zumach, Genf