Immer noch Blähungen in Esenshamm

■ Ein Jahr nach dem Transnuklear-Skandal: Nach wie vor lagern die Plutonium-Fässer in Esenshamm / Erst eines der 107 plutoniumverdächtigen Faß in Jülich untersucht worden / Klage der Gemeide Stadland noch in der Vorprüfung

„Ich weiß nicht, warum immer von Plutoniumfässern die Rede ist“, meinte der Sprecher des niedersächsischen Umweltministeriums, Heinemann, als er zum Stand der seit über einem Jahr schwelenden Blähfaß-Geschichte in Esenshamm befragt wurde. Was er dieser Tage jedoch auf den Tisch bekam, paßt nicht ganz zu der Beschwichtigungsformel: In einem der vor über einem Jahr entdeckten 107 plutoniumhaltigen oder zumindest -verdächtigen Fässer in Esenshamm stellten Kernforscher aus Jülich jetzt 0,3 Milligramm Plutonium fest. Sie untersuchen die Fässer auf ihre Strahlung hin - zum einen von außen, zum anderen von innen, indem sie die Zementhülle anbohrten, die das contaminierte Material schützen soll.

Die Fässer waren - konditioniert und falsch deklariert - im Dezember 1987 aus dem belgischen Mol (damals noch über die Hanauer Korruptionsfirma Transnuklear) auf ihrem Weg

durch die Republik in der einst gutgläubig genehmigten Lagerhalle für schwachradioaktives Material beim Kernkraftwerk Unterweser gelandet. „0,3 Milligramm Plutonium sind ein so geringer Wert, daß er den Bestimmungen der Strahlenschutzverordnung entspricht“, meinte Umweltsprecher Heinemann. „0,3 Milligramm Plutonium sind sicherlich kein Anlaß zum Skandal“, erklärte der Bremer Physik-Professor Cornelius Noack der taz. Aber: „Dieses Ergebnis muß Anlaß sein zur umfassenden Recherche.“ Falls die Atommüllbehälter aus der Wiederaufarbeitungsanlage in Mol stammen, müsse vor allem gefragt werden, woher das radioaktiv verseuchte Material kommt: Ob es beispielsweise - und wenn ja, bei welchen Störfällen - contaminierte Schrauben, Werkzeuge und Geräte waren, die in Mol einen schützenden Zementmantel erhielten.

Doch noch ist erst eins der 107

verdächtigen Atommüllfässer untersucht worden. Nicht zuletzt aus Kostengründen hat man nur eine Stichprobe von 15 Behältern in die Kernforschungsanlage in Jülich geschickt. Die restlichen 14 Ergebnisse stehen noch aus. Ob man von diesem ersten 0,3-Milligramm-Ergebnis auf die restlichen Fässer schließen kann, ist die Frage.

Die Gemeinde Stadland, auf deren Grund und Boden die Lagerhalle beim AKW Esenshamm steht, drängt indes darauf, daß die Behälter aus dem Lager verschwinden. Am 19. Januar 1988 hatte darüber hinaus der Gemeinderat wegen der veränderten Bedingungen seine Genehmigung für die Halle zurückgenommen. Außerdem erhob die Gemeinde Klage: Verwaltungsrechtlich gegen die Genehmigungsbehörde und strafrechtlich gegen die Verantwortlichen beim Betreiber der Lagerhalle, die PreussenElektra und ihre Töchter. Die Klage befindet sich derzeit noch in der

Vorprüfung. Der Vorwurf lautet, sie lagerten radioaktive Stoffe im Gelände, die nicht durch die sogenannte „Umgangsgenehmigung“ nach der Strahlenschutzverordnung gedeckt sind. Der juristische Knackpunkt ist, laut Auskunft des Berliner Rechtsanwaltsbüros Schily-Becker-Geulen, das die Interessen der Gemeinde Stadland vertritt, „inwiefern die bestehende Anlage vom Atomrecht gedeckt ist.“ Die Lagerhalle war genehmigt worden auch für den „Umgang mit radioaktiven Stoffen“ - allerdings nur aus dem schwachstrahlenden Bereich. Kernbrennstoffe wie das höchstgiftige Plutonium 239 unterliegen nach dem Atomgesetz ganz anderen Vorschriften und fallen damit auch in Zuständigkeitsbereiche anderer Behörden - nämlich der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt in Braunschweig.

„Kernbrennstoffe dürfen,“ so Rechtsanwalt Reiner Geulen, „nicht eingelagert werden, und

eine Genehmigung zum Umgang mit Kernbrennstoffen kann auch gar nicht erteilt werden; schon aus diesem Grund kann die bestehende Umgangsgenehmigung den Umgang mit Kernbrennstoffen nicht decken.“ Rechtswidrig sei der Umgang auch deshalb, weil der Inhalt der Stoffe den Genehmigungs -und Aufsichtsbehörden im einzelnen nicht bekannt sei.

Diese und die Betreiber sind zur Einhaltung der Bestimmungen verpflichtet, wozu auch die genaue Kennzeichnung radioaktiver Stoffe zählt. Insofern müssen jetzt auch die Behörden die kostspieligen Untersuchungsverfahren in Jülich durchführen lassen und zahlen, um den Inhalt der Atommüllfässer festzustellen. Außerdem ist den AKWs immer nur das Lagern eigenen Mülls gestattet. Lediglich Stade und Unterweser sind zum Austauschen berechtigt. Insofern müßten die Fässer auf jeden Fall verschwinden.

Doch wer soll sie wohin bringen? Falls tatsächlich sämtliche Fässer nur schwachstrahlendes Material enthalten, könnten sie im Schacht Konrad bei Gorleben versenkt werden, spekuliert Umweltsprecher Heinemann. Falls nicht, müsse auf eine Endlagerung in irgendeinem Salzwerk gehofft werden.

Unterdessen nagt der Zahn der Zeit an den Behältern: Etliche Fässer sind aufgebläht. Die radioaktiven Stoffe arbeiten in ihrer Zementhülle; sie rosten und gären quasi und bringen die Fässer zum Bersten. Sicherheitshalber wurden sie deshalb inzwischen mit einem weiteren schützenden Metallmantel eingekleidet. Bis der Korrosionsprozeß der aggressiven Stoffe den jedoch ernsthaft angreift, dürften, so Physiker Noack, wohl 100 Jahre vergangen sein. Das seien die Zeitäume, in denen die Industrie denke. Eine dauerhafte Lösung aber sei nach wie vor nicht erkennbar.

Birgitt Rambalski