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Antipsychiatrie reif für die Anstalt?

■ Vereinskrach in Bremer Anti-Psychiatrie-Initiative: Mitglied trat mit Boykottaufruf gegen „betulich-angepaßtes Wirtschaftsunternehmen“ aus / Vereinsführung hält an Professionalisierung fest

„...trete ich hiermit aus der Initiative aus und rufe alle freien, anti-psychiatrisch Denkenden zum Boykott dieser Initiative auf.“ - Die Bremer „Initiative zur sozialen Rehabilitation und Vorbeugung psychischer Erkrankungen e.V.“ hat ein Mitglied weniger und einen Kritiker mehr: Adam Zurek, selbst Psychologe mit Doktortitel stieg aus einem der radikalsten Gegenmodelle zur Anstalts-Psychiatrie der Bundesrepublik mit einer vernichtenden Abrechnung am ehemals „lebendigen, konflikthaften“ Anti-Psychiatrie-Projekt aus. Für Zurek hat es sich inzwischen zu „einer gemütlich, betulich-angepaßten Organsiation“ entwickelt, die nur noch eines verdient: „entschiedenen Widerstand“.

Angefangen hat es vor sechs Jahren einmal ganz anders: Auch für Ex-Mitglied Zurek ging es der Initiative früher mal um Alternativen zur geschlossenen Anstalt. Daß es auch anders geht, demonstrierte die Initiative praktisch. Wohngemeinschaften wurden gegründet, deren Bewohner bis dahin ihr halbes Leben in geschlossenen Anstalten verbracht hatten. Neben der praktischen Arbeit organisierte die Initiative öffentlichen Streit über die Bremer Langzeitklinik Kloster Blankenburg: Auch psychisch Kranke sollten in eigenen vier Wänden betreut, aber leben können ein bißchen anders und ein bißchen „verrückt“, aber selbstbestimmt. Mit einer spektakulären „blauen Karawane von Verrückten“ zog die Initiative durch die Land

schaft der deutschen Verwahranstalten bis ins italienische Triest, wo Ende der 70er Jahre gerade die Auflösung aller Langzeit-Kliniken beschlossen war.

Für Zurek ist das alles lange her. Für ihn sind die bürger -schrecklichen Psychiatrie-Kritiker längst auf dem biederbraven Marsch zurück in die Institutionen und organsieren unter der Regie „einer leitenden Clique“ ein „selbstgefälliges Unternehmen“ zur Verwaltung „wohlverstandener Eigeninteressen“.

Symptome, die Zurek für das von ihm diagnostizierte Grund

übel der „Bürokratisierung“ ausgemacht hat: Zum Beispiel den Plan, ein eigenes Haus für die Geschäftsführung zu kaufen, in der der Vorsitzende der Initiative, der ausgebildete (Anti-)Psychiater Dr. Klaus Pramann, nebenbei gleich seine Privat-Praxis als Nervenarzt eröffnen kann. Oder: Die Einrichtung eines „Wasserkopfs“ mit hauptberuflicher Geschäftsführung, Buchhaltung und Öffentlichkeitsarbeit, der als „Apparat“ die Macht übernimmt und die Mitglieder zum „applaudierenden Fußvolk“ degradiert.

In der Initiative nimmt man die

Kritik der „Karteileiche“ Zurek derweil gelassen und verärgert zugleich auf. Für Geschäftsführer Peter Jäckel und Vereinsvorsitzenden Klaus Pramann hat sich mit Zurek nicht „ein praktisch engagierter Kritiker der Anstalts -Psychiatrie“, sondern ein „Gelegenheitsbesucher“ von Mitgliederversammlungen lautstark aus dem Verein verabschiedet. Pramann: “ Von dem, was er jetzt auf billige Weise von anderen fordert, hat Zurek selbst nie etwas getan.“ Auch der attackierte Geschäftsführer Peter Jäckel billigt seinem Kritiker Zurek wenig

Sachkompetenz zu. Zurek habe offensichtlich übersehen, daß gerade die Erfolge der Initiative veränderte Arbeitsstrukturen nötig gemacht hätten.

In der Tat: Aus der kleinen Initiative ist inzwischen ein Projekt mit einem Jahrestat von 1,8 Millionen und 25 festangestellten MitarbeiterInnen geworden, die 20 Wohngemeinschaften mit über 80 ehemalige Langzeitpatienten betreuen. Jäckel: „Da muß die Buchhaltung stimmen, da müssen sachkundige Leute mit Behörden verhandeln, da kann nicht ständig derjenige Auskunft geben, der zufällig gerade am Telefon sitzt.“ Auch der geplante Hauskauf löst sich bei Jäckel vom mutmaßlichen „Sündenfall der Verbürgerlichung“ in eine pragmatische Entscheidung auf: „Wir brauchen erstens neue Arbeitsräume, und zweitens brauchen wir Kapital - z.B., um mit Banken über die Finanzierung neuer Projekte verhandeln zu können.“ Daß der Vereinsvorsitzende Pramann sich im gleichen Haus als Nervenarzt niederlassen will, hält Jäckel eher für einen Glücksfall als für Initiativen-Filz: „Wir haben mit ihm einen Arzt, der auf psychische Krisen nicht nur mit Wieder-Einweisung in die Anstalt reagiert.“ Seiner Karriere sei die neue Adresse vermutlich sogar abträglich, glaubt auch Pramann selbst: „Wenn ich Geld verdienen wollte, würde ich mich anderswo etablieren. Privatpatienten setzen sich schließlich nur ungern gemeinsam mit Verrückten ins Wartezimmer.“

K.S.

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