„Wettbewerbsvorteile für Bus und Bahn“

Der Vertreter der Zürcher Verkehrsbetriebe, Peter Stirnemann, zu offensiver Nahverkehrspolitik  ■ I N T E R V I E W

Einer AL-Einladung folgend wird heute um 19.30 Uhr im Rathaus Schöneberg Dipl.-Ing. Peter Stirnemann von den Zürcher Verkehrsbetrieben anläßlich des fünfjährigen Jubiläums der S-Bahnübernahme über die Erfolge seines Unternehmens bei der Umsetzung eines ökologisch bestimmten Verkehrskonzeptes berichten. 1977 entschied sich Zürich für den offensiven Ausbau und den Vorrang des öffentlichen Nahverkehrs. Radikale Fahrpreissenkungen, kürzere Taktzeiten, grüne Welle für Bus und Bahn haben den öffentlichen Verkehr in Zürich so attraktiv werden lassen, daß dort pro Jahr und Einwohner 430 Fahrten (in West-Berlin 269) und ein Kostendeckungsgrad von 68 Prozent erreicht werden.

taz: In welcher Form fördert man bei Ihnen den Nahverkehr?

Stirnemann: An erster Stelle wird gewünscht, daß man schnell vorwärts kommt. Tolle Wagen oder sonstige Bequemlichkeitsfaktoren spielen offensichtlich eine nebensächliche Rolle. Straßenbahnen und Busse fahren zu den Berufsspitzenzeiten im Sechs-Minuten-Takt, sonst tagsüber im Siebeneinhalb-Minuten-Abstand, abends noch alle zwölf Minuten.

Die meisten neuen Fahrgäste konnten Sie aber mit günstigen Tarifen gewinnen?

Ja, seit Einführung eines Umwelt-Abos, der unpersönlichen „Regenbogenkarte“ für monatlich 45 Franken zum Jahreswechsel 84/85, nehmen die Fahrgastzahlen jährlich zwischen sechs und acht Prozent zu. Das heißt, wenn dieser Trend weiterhin anhält, dürften wir bis 1994 rund 40% mehr Fahrgäste befördern.

Gibt es denn schon die Trendwende weg vom Auto?

Wir müssen feststellen, daß diese sogenannten Umweltkarten eigentlich nicht nur zum Aussteigen geführt haben, also die Autofahrtenzahl ist nicht zurückgegangen, das muß man einfach sagen. Es ist einfach die Mobilität insgesamt gestiegen. Der Autoverkehr müßte aber reduziert werden. Wo es irgendwie geht, werden deshalb Flächen dem öffentlichen Verkehr zugeschlagen, etwa dadurch, daß man Autospuren in Busspuren verwandelt. Aktive Politik des Stadtrates ist es auch, im Innenstadtbereich die Parkflächen einzuschränken. Insgesamt geht es nicht um diktatorisches Einzwängen des Individualverkehrs, sondern darum, dem öffentlichen Verkehr Wettbewerbsvorteile zu verschaffen. Dem kommt die Einstellung der Bevölkerung, nicht nur der Regierung, entgegen: Die Haltung dem Auto gegenüber ist nicht mehr so freundlich. Es ist immer ein toller Anblick, wenn bei uns die Straßenbahn an Autoschlangen vorbeifährt, das motiviert so schön.

Thomas Knauf