„Wir haben abgetrieben“

Mit einer neuen Selbstbezichtigungs-Aktion beginnen 600 Frauen Kampagne gegen §218  ■  Von Helga Lukoschat

Berlin (taz) - „Herr Staatsanwalt, Sie werden sich übernehmen! Auch ich habe abgetrieben.“ Mit diesem Bekenntnis treten 17 Jahre nach der ersten Selbstbezichtigungs-Aktion von Frauen und 13 Jahre nach der Reform des Paragraphen 218 Hunderte von Frauen erneut an die Öffentlichkeit. Am kommenden Dienstag und Mittwoch werden in der taz entsprechende Anzeigen erscheinen - unterschrieben von Frauen, die abgetrieben haben, sowie von Frauen und Männern, die diese Selbstbezichtigungs-Kampagne unterstützen.

Für die drei Initiatorinnen der Kampagne, die Frauenreferentinnen der Grünen in Baden-Württemberg, Bayern und Hessen, geriet das Ermittlungsverfahren gegen die grüne Politikerin Jutta Ditfurth zum „Stein des Anstoßes“: Sie hatte sich im Sommer 1988 in einem Zeitungsinterview zu zwei Abtreibungen bekannt. Die Strafanzeige eines Lesers führte dazu, daß im Dezember Ermittlungen aufgenommen wurden.

Im Rahmen der Selbstbezichtigungsaktion wird jedoch vor allem auf die Prozesse in Memmingen Bezug genommen. Diese werden als „frauenfeindliche Praxis“ an den Pranger gestellt, und für alle Frauen wird das „Recht auf eine selbstbestimmte Entscheidung“ gefordert. „Es gibt in der BRD keine gesellschaftliche Mehrheit, die einen Rückschritt in Richtung Engelmacherinnen, Küchentisch oder Hollandfahrten trägt“, heißt es im Anzeigentext der Frauen.

Nach den Vorstellungen der Initiatorinnen sollten es genau 218 Frauen werden, die sich per taz-Anzeige zu ihrer Abtreibung bekennen. Fortsetzung auf Seite 2

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Doch dann übertraf die Resonanz alle Erwartungen. In nur knapp vier Wochen kamen über 600 Unterschriften zusammen. Es sind Frauen aus dem grünen Spektrum, Gewerkschafterinnen und SPD-Frauen dabei. Prominente Feministinnen wie die Wissenschaftlerin Christina Thürmer-Rohr, die Filmemacherin Helke Sander sowie die Publizistinnen Peggy Parnass und Barbara Sichtermann unterstützen die Aktion.

Dennoch ist die Kampagne nicht allein auf die linksliberale und feministische Prominenz zugeschnitten.

Viele Frauen aus den ländlichen Regionen Bayerns und Baden -Württembergs beteiligen sich daran ebenso wie Frauen aus Memmingen, die von den dort laufenden Prozessen persönlich betroffen sind. Schließlich verzichteten die Initiatorinnen auf ihren ursprünglichen Plan, zwei getrennte Listen zu veröffentlichen: eine mit den Namen der „Selbstbezichtigerinnen“ und eine mit den Namen der UnterstützerInnen. Die besondere Situation der Memminger Frauen und ihr Schutzbedürfnis seien das „schlagende Argument“ für eine gemeinsame Liste gewesen.

Daß auch Männer die Kampagne unterstützen dürfen, darüber herrschte von Anfang an Einigkeit. Der

Kampf gegen den Paragraphen 218 sei längst nicht nur Frauensache, so Inge Leffhalm aus Baden-Württemberg. Etwa ein Drittel der Unterschriften leisteten Männer. Unter ihnen befindet sich auch der Memminger Frauenarzt Horst Theissen, der gegenwärtig in einem spektakulären Prozeß wegen illegaler Schwangerschaftsabbrüche in 156 Fällen vor Gericht steht.

Nach der Reform des Paragraphen 218 sind Abtreibungen nur dann strafbar, wenn der Weg, den das Indikationsmodell vorschreibt, nicht eingehalten wurde. Außerdem besteht eine Verjährungsfrist von fünf Jahren. Daß es jetzt zu Ermittlungsverfahren gegen die „Selbstbezichtgerinnen“ kommen könnte, halten

die drei grünen Frauen eher für unwahrscheinlich. Vorgesorgt haben sie dennoch: Allen, die unterschrieben haben, stehen RechtsanwältInnen zur Verfügung.

Es gab auch Kritik an der Kampagne. Weil im Anzeigentext auf die ausdrückliche Forderung nach Streichung des Paragraphen 218 verzichtet wurde, wollten einige Frauen aus den fundamentalistischen Kreisen der Grünen nicht unterschreiben. Für die Initiatorinnen wird jedoch aus dem Tenor der Anzeige und der Formulierung: „Der Paragraph 218 ist frauenverachtend“ die politische Intention deutlich. Sie hätten deshalb auf die „programmatische Formel“ verzichtet, um für möglichst viele Frauen ansprechbar zu sein.