Der Sündenbock

■ Zu den Urteilen im Berliner Document-Center-Prozeß

Eine faire und präzise Verhandlungsführung, eine ausgewogene Urteilsbegründung - aber das Unrecht war unübersehbar. Und es wurde auch vom Richter gesehen: Bedrückung sprach aus seiner Begründung. Im Berliner Document-Center-Prozeß wurde der Schwarzafrikaner Darko als Sündenbock verurteilt, gewissermaßen mit gerichtsnotorischem Bedauern.

Seine Verteidiger klagten die unfaire Ermittlung an, die politische Rücksichtsnahme gegenüber den Vorgesetzten Darkos. Aber was hätte die Ermittlungsbehörde tun sollen? Die Berliner Staatsanwaltschaft hätte energisch dem Verdacht nachgehen müssen, daß der Chef einer US-Behörde mit neonazistischen Händlerkreisen zusammenarbeitet. Schon eine ernsthafte Ermittlung in dieser Richtung hätten die stillen Übergabeverhandlungen zwischen dem Bundesaußenministerium und dem State Department ziemlich lautstark werden lassen. Wie bedrohlich die Schatten in der Hauptverhandlung waren, läßt sich aus dem Prozeßverlauf selbst ablesen. Warum verzichtet der Hauptangeklagte darauf, in der Verhandlung noch einmal die Namen seiner angeblichen vorgesetzten Mittäter zu nennen? Seine Existenz ist ohnehin zerstört. Was verurteilt ihn zu einem Schweigen, das nur seine Glaubwürdigkeit erschüttert konnte? Das Gericht sah ein Rätsel, erlaubte aber „Spekulationen“.

Die Scham ist dahin, jeder Verdacht ist erlaubt in einer Stadt der begrenzten Wahrheitsfindung. Das Document Center schützte die NS-Akten vor aufklärerischem Interesse und erlaubte deren Diebstahl. Welche Interessensgruppen mit welchen Interessen wieviel verdeckten, bleibt das Geheimnis des rechtsfreien Raumes, in dem sich deutsche und amerikanische Stellen treffen - wie so oft in dieser Stadt.

Klaus Hartung