Von Videonauten und MailboxerInnen

■ Streikende StudentInnen erobern sich die „neuen Medien“ / „Strike Net“ - eine Computervernetzung - könnte zukünftig „Nachrichtenagentur“ werden

Um den aufgestellten Fernseher versammelt sich im Nu eine Traube von StudentInnen. Die Musik des Vorspanns - Talking about revolution - ist längst zum Ohrwurm geworden. Die tägliche halbe Stunde Video-Streik-Zeitung ist aus den Berliner Uni-Protesten nicht mehr wegzudenken. Mit ihren Bildern voller Streiklust ist das neueste zugleich zum populärsten Medium der in Bewegung gekommenen StudentInnen geworden.

Ganz anders bei den „MailboxerInnen“, die für den Uni -Protest die Möglichkeiten der Computer erobern: Von der Computervernetzung, dem „Strike Net“, wissen nur wenige, wozu es nützlich ist oder wie es gar funktioniert. In einem UNiMUT-Seminar erfuhren die rund 80 gekommenen StudentInnen dann mehr. Eine „Mailbox“ ist - wie der Name sagt - ein „Computer-Briefkasten“, in dem eingegangene Texte aufgehoben werden. So übermittelt die Berliner „Redaktion“ des „Strike Net“ in Sekundenschnelle Artikel aus den Streikzeitungen, Aufrufe und aktuelle Informationen über das Telefonnetz in alle verbundenen Mailboxen und kann Gleiches auch von anderen Uni-Mailboxen empfangen. „Wir wollen eine andere Öffentlichkeit möglich machen“, erklärt ein Mailboxer, „so daß die Leute an anderen Unis nicht auf Zeitungsberichte angewiesen sind, sondern zum Beispiel unseren Forderungskatalog oder unsere Stellungnahmen direkt im Original lesen können.“

Die Suche nach authentischer Öffentlichkeit prägt auch die Video-Zeitung. Ob Demonstrationen oder Vollversammlungen, Protestaktionen oder Polizeieinsätze - immer sind die „Videonauten“ mit Kamera und Mikro schon dabei. Dort filmen keine „neutralen Beobachter“, sondern streikende StudentInnen: „Wir wollen nicht das heute-journal der Uni sein, sondern ein Medium und Organ des Streiks.“

Den Tag über sind vier bis acht Kamerateams unterwegs und filmen. Abends treffen sie sich zur Redaktionssitzung, und dann wird die ganze Nacht hindurch das Material zusammengeschnitten, bis - zumeist in den frühen Morgenstunden - die Originalfassung der Videozeitung mit Ton, Musik und Vorspann fertig ist. Von der halbstündigen Kassette müssen die VideomacherInnen nun die rund 40 Kopien ziehen, die dann über die Monitore in den besetzten Instituten laufen.

Erstmalig wohl auch der Versuch, eine spontane Protestbewegung per Computer zu vernetzen. Die Mailbox -BetreiberInnen haben jedoch einen Vorläufer bei den Universitätsstreiks vor zwei Jahren in Frankreich entdeckt. Dort hatten die StudentInnen aus dem in Frankreich sehr viel weiter als bei uns verbreiteten Bildschirmtext-System das wichtigste Medium ihrer Pressearbeit gemacht. Im Gegensatz dazu ist das in Berlin initiierte „Strike Net“ in erster Linie Infrastruktur, mit der enorm schnell Texte übermittelt werden können und die daher die Funktion einer „Nachrichtenagentur“ bekommen könnte. Die technischen Voraussetzungen sind da, doch fehlen „Redaktionen“ an anderen Universitäten. Mit ihrer Vorstellung auf dem UNiMUT -Kongreß wollte die Berliner Mailbox-Gruppe nicht zuletzt neue Kontakte knüpfen. Denn erst, wenn die ausgesandten Texte gelesen und weiterverarbeitet werden und die EmpfängerInnen Antworten und eigene Informationen zurückschicken, wird aus „Strike Net“ eine tatsächliche Vernetzung der StudentInnen-Proteste.

Die Video-Streik-Zeitung hingegen ist bereits in fast alle bundesdeutschen Universitätsstädte gegangen und hat in einigen auch schon NachahmerInnen gefunden. Sogar eine (einmalige) Europa-Ausgabe in mehreren Sprachen ist zur Zeit in Arbeit.

Bert HoffmannFoto: Erik-Jan Ouwerkerk