Eine Art politische Volkshochschule

■ Vor 40 Jahren wurde das Otto-Suhr-Institut als eigenständige deutsche Hochschule für Politik gegründet / Adenauer-Ära, Besetzungen, Modellinstitut, Spaltungsversuche - das größte politikwissenschaftliche Institut Westeuropas hat schon allerhand erlebt

„Heute ist in der Presse unserer Stadt wieder von dem Ekel der Politik die Rede“, klagte Otto Suhr bei seiner Festrede am 15.Januar 1949, „beginnt eine neue innere Emigration, in der gerade geistige Menschen aus der großen Not der Gegenwart wieder die Flucht in die Philosophie antreten. Ihnen erscheint die Politik als schmutziges Geschäft, das sie robusteren Kräften überlassen, sich dann aber über die Schlechtigkeit der Welt, über die Fehler der Parteien und die Unzulänglichkeit der Institutionen beklagen.“

Die vergebliche Warnung vor einem Rückzug in die Innerlichkeit stand an der Wiege des heutigen „Otto-Suhr -Institutes“, das als eigenständige deutsche Hochschule für Politik im Januar 1949 ins Leben gerufen wurde. Der Geist der Adenauer-Jahre warf seine ersten Schatten voraus. Die Politikhochschule sollte dem Rückzug aus der Politik entgegenwirken. Sie sollte dazu beitragen, daß die Deutschen demokratisch gesonnene Staatsbürger werden. Politische Bildung für alle war das Credo der neuen Hochschule: Politische Bildung war für den Sozialdemokraten Otto Suhr die Zauberformel für die Demokratisierung der Deutschen. Die Hochschule stand daher im Prinzip allen offen. Sie sollte weder Politikberatungsanstalt für die Regierenden noch politikwissenschaftliche Akademikerschmiede sein - vielmehr eine Art politische Volkshochschule.

Sie knüpfte damit an ihre Vorgängerin aus der Weimarer Republik an, die von dem Liberalen Friedrich Naumann 1920 gegründet worden war und die sich 1933 der Gleichschaltung durch Hitler widersetzt hatte. Suhr, der bis 1945 im Widerstand gearbeitet hatte, gab der neuen Hochschule aber eine andere politische Stoßrichtung. Als Dozenten holte er Widerstandskämpfer und Emigranten an die Hochschule, die zwar überparteilich sein sollten, aber demokratisch -sozialistisch orientiert.

Otto Suhr, der als SPD-Politiker damals mindestens so viel Einfluß wie Ernst Reuter hatte und der in den Jahren 1955 bis 1957, bis zu seinem Tod, Regierender Bürgermeister war, hatte sich mit seinem Plan einer politischen Volkshochschule jedoch verkalkuliert. Das Volk zeigte zu wenig Interesse. Statt dessen kamen immer mehr Studenten, die ein politikwissenschaftliches Diplom anstrebten. Die Hochschule begann ihren Kampf um die Anerkennung der Politikwissenschaft als eigenständige akademische Disziplin. Die hochmütigen FU-Professoren, voran die Juristen, versuchten, dies zu vereiteln. Erst 1959 gelang es der Hochschule, als interfakultatives „Otto-Suhr-Institut“ in die FU eingegliedert zu werden.

Die Studentenrevole 1967/68 schien ausgerechnet die OSI -Studenten zunächst kaum zu berühren. Das änderte sich erst, als die „Kritische Universität“, die Gegenbewegung der Studentenbewegung gegen die FU, auf einer Vollversammlung beschloß, das OSI zu besetzen. Eine Woche lang diskutierten die Studenten - sogar mit eilig nachgereichter Erlaubnis der Professoren - über die Notstandsgesetze und das Versagen der Politikwissenschaft und über eine Reform des Institutes. Das OSI wurde in „Karl-Liebknecht-Institut“ umbenannt, richtig besetzt wurde es jedoch nicht: Abends zogen die Studenten nach ihren Diskussionen brav wieder ab.

Der Ausgang der „Besetzung“ ist in die Hochschulgeschichte eingegangen: Das OSI schaffte mit Zustimmung der Mehrheit seiner Professoren die alte Ordinarienverfassung ab und führte eine drittelparitätische Mitbestimmung der einzelnen Gruppen ein. Damit wurde das OSI zum Modellinstitut für Hochschulreform und Mitbestimmung.

Die OSI-Reform hatte aber auch einen Haken, der sich als folgenschwer erweisen sollte: Sie war nur durch eine „Lex OSI“ des Berliner Senates durchzusetzen, da der Akademische Senat der FU sie blockierte. Das war der Auftakt für das Hineinregieren des Senates in die Universität.

1972 wäre das OSI beinahe gespalten worden. Die ideologischen Fronten am Institut waren derart verhärtet, daß eine Gruppe von Professoren versuchte, alle „Nicht -Marxisten“ in einem neuen Institut zu vereinen. 15 von 25 Professoren wollten sich mit den konservativen Historikern zusammenschließen. Erst die Vermittlung des linken FU -Präsidenten Kreibich verhinderte eine Institutsspaltung wie bei den Psychologen. Heute ist das OSI mit 6.500 Studierenden und über 50 ProfessorInnen das größte politikwissenschaftliche Institut in Westeuropa.

Winfried Sträter